Demokratie bauen — Kolumne von TOMAS: Transformation of Material and Space
Es ist ein Fluch, in interessanten Zeiten zu leben. [1]
Geht wählen! Das Gebot der Stunde. Doch was passiert nach der Wahl? Die demokratische Teilhabe geht über den alleinigen Akt des Wählens oder Teilnahme an Demonstrationen hinaus. Wir fragen uns, welche Rolle die gebaute Umwelt spielt? Konkreter: Welche Rolle spielen wir als Planerinnen in der gelebten Demokratie? Hat die Demokratie ein bauliches Gesicht?
Architektur spiegelt die Gesellschaft wider und ihre Verteilung von Ressourcen, Macht und Autorität; ihre Geschichte, ihre Überzeugungen und Werte einer bestimmten Zeit. So trägt auch die Form von Gebäuden oder Städten dazu bei, dass manche Dinge „normal“, richtig und sichtbar und andere „deplatziert“, falsch und unsichtbar erscheinen. [2] In einem Interview mit der Architekturzeitschrift Bauwelt im April 2023 betonte Bundeskanzler Olaf Scholz, dass Architektur und öffentliche Gebäude den Charakter sowie die demokratischen Werte unseres Landes widerspiegeln sollten. [3] Aber wer bestimmt, was der Charakter „unseres“ Landes ist? Wie soll das aussehen?
Kaum ein anderer Wirtschaftsbereich ist so abhängig vom Staat wie die Bauwirtschaft.[4]
Unsere Städte sind über Jahrhunderte gewachsene Ansammlungen aus dem Zusammenwirken des Privaten und der öffentlichen Hand. Städte, die ausschließlich von privatem Kapital gestaltet werden, lassen hingegen sozial, ökologisch und ästhetisch zu wünschen übrig. Neoliberale Tendenzen gilt es daher einzudämmen. Das Prinzip „So viel Privat wie möglich, so viel Staat wie nötig.“ sollte weiter verfolgt werden. Diese These stammt von Peter Conradi aus dem Buch Wir bauen Deutschland [5] von 2013.
Eines der wichtigsten Wahlkampfthemen sind die hohen Wohnungsmieten. Doch wie sind diese entstanden? Stimmt es, dass wir zu wenig Wohnraum haben? Oder liegt das Problem im Ausverkauf vieler Städte? Im Leerstand von Kapitalanlagen und Zweitwohnungen?
Eigentum verpflichtet und Privilegien verpflichten ebenso. Empfinden Sie sich als privilegiert? Sie sollten es. Denn neben vielen anderen Privilegien, die sie sehr wahrscheinlich genießen, sind sie Bürgerin oder Bürger eines demokratischen Landes und das ist leider keine Selbstverständlichkeit. Insbesondere als Planerinnen und Planer haben wir das Privileg, das Erscheinungsbild und die damit einhergehenden Werte unserer gebauten Umwelt zu gestalten. Und damit auch die Pflicht.
„Voraussetzung ist, dass man sich seiner Handlungsräume bewusst ist.“ [6] Dieser Satz stammt aus einer Veranstaltung der Bundeszentrale für politische Bildung. Und wir als Planende haben definitiv einen großen Handlungsspielraum. Die Verantwortung liegt nicht nur ökologisch auf unseren Schultern, sondern auch sozial. Wir als Branche schaffen den baulichen Rahmen für den gesellschaftlichen Ausdruck. Wer sind wir? Alle am Bau Beteiligten – von den Planenden bis zu den Nutzenden. Doch auch wenn wir von den politischen Entscheidungen abhängig sind, sind wir ihnen nicht ausgeliefert. Unser Handlungsspielraum umfasst nicht nur die Ausführung als Dienstleisterinnen und Dienstleister für Geldgebende. Wir sind vielmehr gefragt, uns unsere Selbstwirksamkeit zurückzuholen. Dies kann durch ein Engagement in Kammern, Verbänden, Initiativen, Banken oder Immobilienunternehmen stattfinden. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.
Allein das Bewusstsein darüber, auf der richtigen Seite der Geschichte stehen zu wollen, reicht nicht aus. Rutger Bregmann nennt diese Personen in seinem neuen Buch Moralische Ambition „noble Verlierer“ [7]. Erst der Akt des Handelns bringt die echte Transformation.
Es gilt jeden Tag, Haltung zu zeigen. Unsere Demokratie ist nicht selbstverständlich. Sie ist fragil. Und wenn wir die Demokratie nicht leben, das heißt auch aktiv dafür einstehen, kann sie wieder verschwinden. Also: Do the work!
[7] Bregman, R. (2024). Moralische Ambition: Wie man aufhört, sein Talent zu vergeuden, und wirklich etwas verändert. Rowohlt.
Dieser Text ist Teil einer wiederkehrenden Kolumne von TOMAS – Transformation of Material and Space.TOMAS setzt sich für die Bauwende ein und bezeichnet sich selbst als „sozialverträgliche Architekturunternehmung”. Dahinter stehen Sofia Ceylan, Architektin und Nachhaltigkeitsmanagerin, Dr.-Ing. Katharina Neubauer, Architektin, Dozentin und Expertin für Datenzentren und Annabelle von Reutern, Architektin, Speakerin und Expertin für zirkuläres Bauen.