12-2024
12-2024

Material World — Irrtum Abriss

Dieser Tage entdeckte Katharina die Plattform diegutenachricht.ch. Das klingt vielversprechend, gibt es doch zu viele Medien, mit der Endung .de und .com, die ausschließlich Hiobsbotschaften publizieren. Geht man auf die oben genannte Seite, steht dort in großen Lettern: Und das ist die gute Nachricht: die Welt ist gebaut. Und weiter: „Abriss ist keine intelligente Option. Für eine klimagerechte Stadtentwicklung kommt es darauf an, die vielfältigen Potenziale im Bestand zu erkennen, neu zu organisieren und nachhaltig verfügbar zu machen.” Um es in meinen Worten zu sagen: Abriss is overPeriod.

Was bisher geschah

Seit mittlerweile fünf Jahren fordert Architects for Future: Hinterfragt Abriss kritisch. [1] Vor zwei Jahren wurde ein Abrissmoratorium von einem breiten Fachpublikum gefordert. Ebenso erschien der Jahresbericht bei der Bundesstiftung Baukultur mit dem Titel: Neue Umbaukultur. [2] Genau ein Jahr später wurde im September 2023 der Abriss Atlas, unter anderem vom Bund Deutscher Architektinnen und Architekten, ins Leben gerufen – eine Kartierung von bereits abgerissenen und vom Abriss gefährdeten Gebäuden. [3] Für den Bestandserhalt gibt es mittlerweile ebenfalls einen eigenen Verband. Die Spatzen rufen es von den Dächern. Und trotz allem nimmt der Abbruch keinen Abbruch. Hamburg wird als Freie und Abrissstadt Hamburg betitelt. [4] Der Düttmann-Bau an der Urania in Berlin ist trotz massiver Proteste gefallen. [5] Beim Justizzentrum in München kämpft die Initiative Abbrechen Abbrechen noch um den Erhalt. Ein Ende dieser Gewaltakte, die Abriss nun mal darstellt, ist nicht in Sicht. [6]

Gemeinsam oder doch die anderen

In der aktuellen Employer Branding Kampagne des deutschen Abbruchverbands heißt es „Gemeinsam Neuland schaffen“ oder „Nachhaltigkeit ist in unserer Branche fest verankert“. Wirklich? Wo, im Fundament? Aber in der Kampagne heißt es auch „Hightech statt Haudrauf“. Ob damit zerstörungsfreier Rückbau gemeint ist? [7]

Was nun?

Wieso also noch einen Artikel über diesen irren Irrtum schreiben? Wen kann ich damit überzeugen? 

Die bekannten Blasen existieren nebeneinander, als ginge es um nichts. Als würden wir nicht alle vom gleichen Objekt – dem Haus – sprechen. Als würde die Zeit nicht drängen und als hätten wir als Bauschaffende nichts mit der Klimakatastrophe am Hut. Muss ein anderes Ressort sein. Wie war das mit der Sektorenverschiebung? Sollen sich die anderen drum kümmern. 

„In den Bereichen Gebäude und Verkehr werden die Klimaziele 2030 nicht erreicht, wenn nicht weitere Maßnahmen getroffen werden. Der Gebäudebereich verfehlt sein Ziel bis 2030 um 32 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente, auch wenn dort eine Emissionsminderung von 7,5 Prozent oder 8,3 Millionen Tonnen erreicht wurde,“ sagte die Bundesregierung in einer Pressemitteilung vom April dieses Jahres. [8]

KI weiß Bescheid 

ChatGPT hat mir auf die Frage, warum in Deutschland noch abgerissen wird, eine Reihe von Gründen genannt, jedoch mit dem Hinweis, dass es „zunehmend Diskussionen über die Notwendigkeit von Abrissen angesichts des Klimawandels und der Ressourcenschonung gibt.“ Wie beruhigend, dass dieser Spiegel der aktuellen Debatte so prominent am Anfang der KI-Antwort steht.

Ich antwortete, dass es mich wütend macht, dass es noch immer günstiger ist, abzureißen, statt den Bestand zu erhalten. ChatGPT zeigte Verständnis und sagte, dass meine Wut absolut nachvollziehbar ist, „denn es zeigt ein grundlegendes Problem unseres Wirtschaftssystems: Oft wird finanzieller Gewinn über langfristige Nachhaltigkeit und Klimaschutz gestellt.“ Es folgte eine Reihe von Vorschlägen, was zu tun ist, um diese Logik zu ändern. Das Wissen ist da und es ist vor allem frei zugänglich. Wo ist also das Problem?

Mir scheint es ist, wie der Rapper Prinz Pi in seinem Lied Telegramgruppe von 2023 schreibt:

Der Virologe sagt: ‚Egal, was ich sag‘, ganz egal, was ich sag‘

Mir hört eh keiner zu‘

Und der Klimaschützer sagt: ‚Egal, was ich sag‘, ganz egal, was ich sag‘

Mir hört eh keiner zu‘“

Also richte ich mich an euch, die ihr gewillt seid, Teil der Transformation zu sein: Seid politisch. Mischt euch ein. Weigert euch, Wettbewerbe mitzumachen, die Abriss fordern. Nutzt eure Stimme und eure Privilegien, um auf den Bestand als Hebel zur Erreichung der Bauwende hinzuweisen. Es wird sonst keiner tun. 


[1] https://www.architects4future.de/forderungen/02-hinterfragt-abriss-kritisch

[2] https://www.bundesstiftung-baukultur.de/publikationen/baukulturbericht/2022-23

[3] https://countdown2030.ch/de und https://www.bda-bund.de/2024/11/anti-abriss-allianz-fordert-sofortmassnahmen/

[4] https://www.abendblatt.de/hamburg/article238938831/Die-zweite-Zerstoerung-Warum-so-viel-abgerissen-wird.html

[5] https://www.baunetz-campus.de/news/initiative-an-ders-urania-gegen-den-abriss-eines-duettmann-baus-8464902

[6] https://www.theguardian.com/artanddesign/2022/aug/16/demolition-is-an-act-of-violence-the-architects-reworking-buildings-instead-of-tearing-them-down

[7] https://www.deutscher-abbruchverband.de/

[8] https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/treibhausgasbilanz-2023-2265440


Dieser Text ist Teil einer wiederkehrenden Kolumne von TOMAS – Transformation of Material and Space. TOMAS setzt sich für die Bauwende ein und bezeichnet sich selbst als „sozialverträgliche Architekturunternehmung”. Dahinter stehen Sofia Ceylan, Architektin und Nachhaltigkeitsmanagerin, Dr.-Ing. Katharina Neubauer, Architektin, Dozentin und Expertin für Datenzentren und Annabelle von Reutern, Architektin, Speakerin und Expertin für zirkuläres Bauen.

Text: Annabelle von Reutern

Titelbild: © Axel1963

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