In seiner Kolumne bei Bricks Don’t Lie erklärt Gerhard Feldmeyer, wie dringlich ein verpflichtender Gebäuderessourcenpass ist und ganz praktisch welche Daten und Angaben dafür erforderlich sind.
Beliebter Zeitvertreib: ein Stadtbummel. Ob als Städtetourist auf Streifzug im historischen Stadtkern oder aber unterwegs in der eigenen Stadt: Eingetaucht im Häusermeer ist es oft nicht möglich, das architektonische Gesamtbild eines Platzes oder engen Straßenzuges zu erfassen.
Den Blick für das architektonische Ensemble hat der Leipziger Fotograf Jörg Dietrich schon früh entwickelt – und beschlossen, diese Stadtansichten zu Papier zu bringen. In Form von linearen Panoramabildern lässt er Städte in ganz Deutschland auf eine Weise aufleben, wie sie viele noch nie erlebt haben dürften.
Von Rostock im Norden bis Freiburg im Süden, von Monschau an der belgischen Grenze bis hin zu Görlitz im östlichsten Sachsen: In über 150 deutschen Städten hat Jörg Dietrich über Jahre hinweg Häuserfronten fotografiert – und anschließend in mühsamer Arbeit am Computer seine linearisierten Stadtbilder erstellt.
„Das Arbeitsfeedback ist sehr spannend. Nach und nach entsteht ein Bild einer Stadt, was so vorher noch nie jemand gesehen hat. Man steht immer vor etwas völlig Neuem. Es ist erfüllend, das der Welt zu geben“, beschreibt Fotograf Dietrich seine Arbeit.
Oft erkenne der Betrachter seine eigene Stadt nicht wieder – seine Fotografie schaffe Platzperspektiven, die man so in echt kaum wahrnehmen könne, erklärt Jörg Dietrich weiter. Er selbst sei in einer Kleinstadt aufgewachsen, in der Architektur nie eine große Rolle gespielt habe, wo vorrangig abgerissen und zurückgebaut wurde. „Was Architekten tun, erschien mir damals als irrelevant. Es war nicht wie in Städten wie Hamburg, wo die Baubranche brummt und Architektur gestaltet.“ Erst später im Studium und durch das Leben in anderen Städten habe sich dieses Interesse entwickelt – und auch der Wunsch, das Alltägliche in den Städten und den vielfältigen Stilmix darzustellen.
Ursprünglich Biologe von Beruf hat Jörg Dietrich schließlich die Entscheidung getroffen, sich mit der Fotografie selbstständig zu machen. „Ich habe schnell gemerkt, dass diese Art und Weise der Fotografie und Darstellung kaum jemand macht. Man muss aber sagen, dass sich die meiste Arbeit am Rechner abspielt. Die Fotografie ist eher der kleinere Teil der Arbeit.“ Für ein durchschnittliches Panoramabild bestehend aus circa 15 Einzelbildern braucht Jörg Dietrich in der Komplettbearbeitung ungefähr eineinhalb Tage. Dies entspricht der Darstellung eines etwa 150 Meter langen Straßenzuges. Die exakte Skalierung, genaue perspektivische Darstellung und Nachbearbeitung der Ebenen sei ein komplexer Prozess und nicht so einfach in der Umsetzung.
In Form einer Ausstellung wurden Jörg Dietrichs Panoramen unter dem Titel „Germany Street Fronts“ in den USA gezeigt. Anlässlich des Deutschlandjahres 2019 in den USA entstand in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut eine Wanderausstellung, die durch Städte wie Kansas-City, Houston und Seattle tourte: Dietrichs bisher umfangreichstes Projekt, welches nur aufgrund seines bereits breit angelegten Fotoarchivs möglich war. „Das Archiv hat ganz Deutschland repräsentiert. Ich habe es für die Ausstellung punktuell ergänzt, um die verschiedenen Thementafeln zu füllen“, erklärt Dietrich.
Ziel war es, einen runden Überblick über die deutsche Architektur zu schaffen. So entstanden Ausstellungstafeln zu unterschiedlichen Themenblöcken: Industriearchitektur, Fachwerk, Flusslandschaften, Marktplatz, Altstadt, Einkaufsstraßen, Moderne, Gründerzeit, Kirchen, Kunst & Architektur sowie Nachhaltigkeit.
Ein ergänzender Begleittext auf den jeweiligen Tafeln setzte die Stadtansichten in den architekturgeschichtlichen Kontext und gab zusätzliche Infos. So erfuhr man beispielsweise zum Thema Fachwerk, dass in Deutschland trotz Zerstörung und Abriss noch immer zwei Millionen Häuser dieser besonderen Bauart erhalten sind. Mit der Zöllnerstraße in Celle konnte dabei ein besonders eindrückliches Fachwerk-Panorama Betrachtung finden. Die Altstadt von Celle gilt als das größte zusammenhängende Ensemble von Fachwerkhäusern in ganz Europa.
Zum Thema Kunst setzte Jörg Dietrich sowohl das Happy Rizzi Haus in Braunschweig als auch eine Fassade des Ulmer Rathauses von 1540 als Panorama um – zwei Beispiele für die Vielfalt an Stilen und Baukunst in Deutschland. Zum Thema Gründerzeit glänzte das Panorama der geradezu majestätischen Augustastraße in Görlitz, die Moderne fand im Konsumzentralen-Panorama (Leipzig) seinen Ausdruck und unter der Rubrik Industriekultur durften zwei Ansichten der Hamburger Speicherstadt als eine der weltweit größten Lagerhauskomplexe nicht fehlen. Die Altstadt-Tafel griff anhand von historischen Ansichten Lübecks, Freiburgs oder Stralsunds ein weiteres wichtiges Thema auf: „Im Kern dieser Städte war der Marktplatz verortet, der heute gemeinsam mit den historischen Altstädten der Stadt Identität stiftet.“ Mittelalterliche Stadtzentren seien oft Hauptattraktion für Bewohner und Touristen, hieß es dort, und somit wichtige öffentliche Räume und Begegnungsstätten.
„Wir wollten mit der Ausstellung die Vielfalt der deutschen Städte zeigen und dies in der Breite einem Publikum präsentieren. Es war eine Möglichkeit, den Reichtum an Formen, Stilen und Nutzungen in deutschen Städten zu thematisieren“, so Jörg Dietrich über Intention und Mehrwert der Ausstellung. Es sei zudem eine Möglichkeit gewesen, zu zeigen, wie sich das Stadtbild strukturell entwickelt hat und wie Zeit und Gesellschaft darauf eingewirkt haben. Die Bilder werfen auch die Frage auf, wie die Gesellschaft heute mit historischen Bauten umgeht und umgehen will.
Auch deutsche Besucher konnten sich über den dokumentarischen Mehrwert der Ausstellung schließlich – wortwörtlich – ein Bild machen. Ab 2020 wurde „Germany Street Fronts“ in den Zentren für Baukultur in Mainz und Dresden gezeigt, danach in der Architektenkammer Leipzig. Aufgrund der Corona-Beschränkungen fielen die Besucherzahlen jedoch gering aus. Eine Fortsetzung der Ausstellung sei laut Jörg Dietrich erwünscht. „Es wäre gut, wenn die Tafeln wieder gezeigt würden! Sie sind gelagert und bei Interesse können sie erneut ausgestellt werden.“
Weiterführende Artikel und Links:
Eine virtuelle Ausstellung Jörg Dietrichs mit weiteren Panoramaansichten gibt es hier.
Zum Thema Baugeschichte Deutschlands empfehlen wir unseren Artikel „Zwei deutsche Architekturen – Ausstellung in Suhl vermittelt Baugeschichte in Ost und West“.
Text: Marit Albrecht
Bilder: © PanoramaStreetline
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