Olympia — immer ein Event der Superlative. Nicht selten warten vor allem die Sommerspiele mit beeindruckenden Prestigebauten auf. In Tokio suchten die Besucher diese 2021 jedoch vergebens.
Vor fast genau 20 Jahren erlebte die Landeshauptstadt Dresden die bis dato größte Flutkatastrophe der Geschichte des Freistaates. Innerhalb weniger Tage wurde die Innenstadt durch massive Niederschläge im Osterzgebirge von der Weißeritz (und später durch starke Regenfälle in Tschechien) von der Elbe überflutet. Ganz Dresden verwandelte sich einen schlammigen Sumpf aus Dreck und Verwüstung. Krankenhäuser und rund 35.000 Einwohner der Stadt mussten evakuiert werden, Menschen verloren über Nacht ihr Heim, wertvolle Kunstschätze wurden beschädigt und die Infrastruktur der Stadt und das öffentliche Leben wurden fast komplett lahmgelegt. Ein Lichtblick: genauso schnell wie sich die Fluten ihren Weg bahnten, erfuhren die Betroffenen eine bespiellose Solidarität und Hilfe aus dem gesamten Bundesgebiet. Trotzdem waren die Auswirkungen der Naturkatastrophe noch lange zu spüren. Anlässlich des 20-jährigen „Jubiläums“ (wenn man dies so sagen darf) nachfolgend (m)eine ganz persönliche Schilderung der Jahrhundertflut und ein kurzer Rückblick auf die Maßnahmen des Hochwasserschutzes, die seitdem eingeleitet wurden.
An besagtem Montag, den 12. August 2002, fuhr ich gegen Abend nichtsahnend mit dem Fahrrad aus Richtung Freital zu meiner Wohnung, die zwischen Zwinger und Yenidze lag. Es regnete, wie schon den ganzen Tag, was für den August doch etwas ungewöhnlich war. Dies störte mich nicht und ich machte mir auch keine Gedanken darüber. Was mir jedoch auffiel, waren die zahlreichen Gullydeckel, die es durch das ansteigende Grundwasser angehoben hatte und aus denen das Wasser strömte, anstatt hineinzufließen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass die Weißeritz (interessanterweise heißt dies auf Sorbisch: „schnelles, wildes Wasser“) durch die anhaltenden Regenfälle ihr Flussbett überschritten hatte und entsprechende Wassermassen auf die Stadt einströmten. Zu diesem Zeitpunkt war bereits Katastrophenalarm ausgelöst worden. Davon wusste ich allerdings nichts und so nahm ich eine warme Dusche, hing meine nassen Klamotten auf, machte mir etwas zu Essen und beschäftigte mich nicht weiter mit den Geschehnissen außerhalb meiner vier Wände im Dachgeschoss.
Als ich am nächsten Morgen aus dem Fenster schaute, wusste ich, dass heute wahrscheinlich kein normaler Arbeitstag sein würde. Die Gehsteige standen unter Wasser, so auch die parkenden Autos in der etwas abschüssigen Seitenstraße, in der auch mein Fahrzeug stand. Ich kann mich noch deutlich an jenen unglücklichen Autofahrer erinnern, der lautstark fluchte, weil seine luxuriöse Limousine (aufgrund von Wasser im Auspuff) nicht mehr ansprang. Ich hatte das Glück, dass mein Fahrzeug aufgrund höherer Bauweise davon nicht betroffen war und fuhr in weiser Voraussicht auf die Marienbrücke, wo ich mein Fahrzeug am Scheitelpunkt der Brücke abstellte. Zurück im Haus räumte ich vorsichtshalber meinen Keller leer. Ernsthafte Sorgen machte ich mir zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht. Dass die ganze Situation doch nicht so harmlos war, merkte ich ein wenig später, als plötzlich der Strom ausfiel. Aber gut, eine Büchse Ravioli kann man auch kalt essen und lesen bei Kerzenschein hat auch etwas Romantisches. Ein Anruf meiner Eltern aus dem benachbarten Bundesland Bayern konfrontierte mich mit der unangenehmen Realität, die in den Nachrichten die Runde machte und auch mein Leben beeinflussen würde. Immerhin hatte ich keinen Strom, keine Vorräte und niemand wusste, was noch kommen würde. Ich beschloss daher, am nächsten Tag erst einmal bei einem Schulfreund zu übernachten, der hochwassersicher oberhalb von Oberwartha in Dresdens Höhenlage wohnte.
An jenem dritten Hochwassertag merkte ich bereits beim Verlassen der Wohnungstür, dass sich wirklich eine Katastrophe anbahnt. Benachbarte, im Erdgeschoss ansässige Geschäfte, hatten ihr ganzes Inventar in den oberen Hausfluren verteilt. Warum, dies merkte ich, als im Erdgeschoss ankam. Das Wasser ging mir hier bereits bis auf Höhe des Bauchnabels. Als ich das Haus verließ, traute ich meinen Augen kaum. Das war nicht Dresden, das war Venedig! Menschen wateten durch die Straßen, Autos standen bis über die Motorhaube im Wasser und ein paar ganz Abenteuerlustige schwammen mit einem Schlauchboot durch die Straßen. Erneut war mir Fortuna hold, denn die Fluten waren noch nicht ganz zu meinem Auto vorgedrungen. Jetzt zählte jede Sekunde. Über Pieschen fuhr ich über nasse Straßen und zahlreiche Umleitungen auf die Autobahn, wo der Wahnsinn erst einmal ein Ende hatte. Angekommen bei meinem Schulfreund konnte ich vom Balkon aus – quasi in Vogelperspektive – erkennen, dass die ganze Stadt unter Wassermassen begraben war und sogar das Stauseebad Cossebaude eins mit dem Wasserstand der Elbe war, deren Flussbett keine erkennbaren Konturen mehr hatte. Als ich am kommenden Donnerstagmorgen endgültig die Stadt verließ, konnte ich mir nicht vorstellen, dass es noch schlimmer kommen würde. Da irrte ich mich gewaltig, denn erst zwei Tage später erreichte die Elbe mit 9,40 Meter ihren höchsten Pegel…
Fast eine Woche später kam dann das kalte Erwachen. Schon von der Autobahn aus glich Dresden einer Geisterstadt und strahlte eine dystopische Atmosphäre aus. Es brannten keine Lichter, die Straßen waren schlammig und menschenleer. Es fuhren weder Bahnen, Busse oder Autos. Dafür standen unzählige Autowracks an den Straßenrändern, daneben überall Container und Sperrmüll. Die Überreste all jener Haushalte, die keine Möglichkeit gefunden hatten, ihr Hab und Gut zu retten.
Die Flutschäden wurden damals alleine in Sachsen auf sechs Milliarden Euro geschätzt. Als Konsequenz wurden schnell 160 Millionen Euro in den Hochwasserschutz und 10 Millionen Euro aus dem Hilfsprogramm der Bundesregierung und dem Haushalt der Stadt Dresden in die Wiederherstellung der Bachläufe gesteckt. In Sachsen wurden seitdem rund 3,6 Milliarden Euro in den Hochwasserschutz investiert. Neben einem Hochwassermanagementplan wurde auf technischer Seite sehr viel getan. Besonders die Weißeritz stand im Fokus der Hochwasserkatastrophenprävention. Ihr Flussbett wurde erweitert und überquerende Brücken saniert und verbreitert. Die Stadtentwässerung Dresden errichtete mehrere Hochwasser-Pumpwerke und sanierte ihren Abfangkanal in der Altstadt. In mehreren elbnahen Stadtteilen wurden Flutschutzwände und Entlastungsbrunnen errichtet und Deiche erhöhte. Bautechnisch bemerkenswert ist vor allem die rund fünf Kilometer lange Hochwasserschutzanlage, die sich von Stetzsch bis Cossebaude/Gohlis erstreckt und mit mobilen Anlagenteilen erhöht werden kann.
Im Rahmen neuer Bauprojekte wurde weiterhin untersagt, neues Bauland auf hochwassergefährdeten Flächen auszuweisen und Neubauten in Risikogebieten wurden mit druckfestem Keller gebaut, um ein Eindringen von Grundwasser zu vermeiden. Auch Talsperren wurden als Rückhalteräume eingeplant, so wird z.B. die Talsperre Malter seit 2002 nicht mehr vollständig aufgefüllt. Nicht so recht voran ging es allerdings im Stadtteil Laubegast. Dort wurde lange diskutiert, wie sich Hochwasserschutz mit einem uneingeschränkten Blick auf die Elbe vereinen lassen. Nun liegen aber Planungsunterlagen vor und ein naher Baubeginn steht in Aussicht.
Dass sich die oben erwähnten Maßnahmen weitestgehend bewährt haben, zeigte sich 2013, als Dresden erneut von einem ernsthaften Hochwasser heimgesucht wurde. Der höchst gemessene Pegelstand blieb mit 8,75 Metern jedoch unter der Marke von 2002, was aber trotzdem Platz 3 in der Liste der historischen Hochwasserpegel darstellt. Auch wenn Gebäude in Elbnähe, wie z.B. das beliebte Restaurant Schillergarten in Blasewitz, den Fluten nicht ausweichen konnten, so funktionierten das Frühwarnsystem und die Katastrophenhilfe deutlich besser und Bewohner und Unternehmen konnten entsprechend reagieren. Das Hochwasserschutzsystem verhinderte diesmal auch ein weiteres Vordringen des Wassers in die Innenstadt. Trotzdem wurden Stimmen laut, dass in Bezug auf künftige Hochwasser noch eine Menge Handlungsbedarf besteht und man aus 2002 und 2013 lernen und die Katastrophen nicht vergessen dürfte. Niemand, weder Statistiker noch sonstige Experten können sichergehen, dass ein Jahrhunderthochwasser wirklich nur einmal in hundert Jahren vorkommt.
Bericht: Stefan Mothes
Titelbild: Shutterstock
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