… liegt im Auge des Betrachters. In unserer Interviewreihe „Mein perfektes Zuhause“ befragen wir regelmäßig Personen aus dem Metier des Baus oder darüber hinaus, was für sie das perfekte Zuhause ausmacht.
Mit „Über sieben Brücken musst du gehen“ landete die ostdeutsche Band „Karat“ Ende der 70er Jahre einen Hit, der auch heute noch als Evergreen einen festen Platz in der deutsch-deutschen Musikgeschichte hat. Während die erwähnten Brücken im Song eher symbolträchtig für die zu überwindenden Hürden im Leben eines jeden Menschen stehen, sind Brücken im Alltag hochsensible Bestandteile der verkehrstechnischen Infrastruktur.
Während die Sanierung eines Autobahnabschnitts oder einer Bundesstraße lediglich für erträgliche Unannehmlichkeiten sorgt, ist die Sanierung bzw. Sperrung einer Brücke ein wesentlich gravierender Einschnitt in die Mobilität der Verkehrsteilnehmer. Dass die grundsätzlich hohen Sanierungskosten in der Regel deutlich höher ausfallen, als vor Baubeginn kalkuliert, sorgt bei den jeweiligen Kommunen verständlicherweise nicht für Freudentränen. Exemplarisch lässt sich dies an nachfolgenden Beispielen erkennen.
Die historische Augustusbrücke, die von 1949 bis 1990 Georgij-Dimitroff-Brücke hieß, ist eine der ältesten Elbebrücken Sachsens und konnte im Mittelalter von sich behaupten, die längste Brücke Deutschlands zu sein. Für Einheimische und Touristen ist sie eine der schönsten Brücken der Landeshauptstadt. Auch wenn sie den Zweiten Weltkrieg mit kleineren Blessuren verhältnismäßig gut überstehen konnte, war auch sie nicht dauerhaft gegen die Unbill der Naturgewalten gefeit. 2002, 2006 und 2016 wurde ihre Bausubstanz durch die extremen Hochwasser derart in Mitleidenschaft gezogen, dass eine denkmalgerechte Sanierung im Jahre 2017 unumgänglich war. Kalkuliert wurden die Baukosten mit 22 Millionen Euro. Die Dauer der Baumaßnahmen wurde auf zwei Jahre gerechnet. In beiden Fällen waren die Planer da wohl etwas zu optimistisch.
Zurück in der Gegenwart, respektive Realität. Am Freitag, den 28. Januar 2022, wurde die Augustusbrücke offiziell von Oberbürgermeister Dirk Hilbert und Verkehrsminister Martin Dulig freigegeben. Seit dem darauffolgenden Montag rollen auch wieder die Straßenbahnen der Linien 4, 8 und 9. Eine Eröffnung im Januar 2022 bedeutet am Ende eine Verdoppelung der Bauzeit um mehr als zwei Jahre. Auch kostenseitig wurden die kalkulierten 22 Millionen Euro Baukosten nach aktuellen Rechnungen um weitere vier Millionen Euro überschritten (die endgültige Kostenfeststellung steht noch aus). Begründet wurden die Kostenüberschreitung und die Verlängerung der Bauzeit unter anderem mit nicht eingeplanten Aufwendungen wie der Entfernung einer alten Dichtung aus Steinkohlenteer und einer unerwartet hohen Beschädigung der Sandsteine. Man kann sich zudem vorstellen, dass es in der Praxis ein belastendes Unterfangen war, gleichzeitig den Vorgaben des Denkmalschutzes gerecht zu werden und gleichzeitig die Brücke bautechnisch zeitgemäß und nachhaltig zu sanieren. Dies lässt sich nicht mit einem Brückenneubau vergleichen, dies sollte man bei Kritik an Bauzeit- und Kostenüberschreitung der Fairness halber nicht vergessen.
Für die Autobahn GmbH des Bundes war der 6. Januar 2022 ein „Doomsday“ von außergewöhnlicher Tragweite. Die Talbrücke Rahmede auf der A45, über die sich täglich mehr als 60.000 Fahrzeuge bewegen, ist nun nicht (wie zuvor noch angenommen) sanierbar, sondern muss abgerissen werden. Dies haben Gutachten ergeben und der explosive „Rückbau“ ist nun beschlossen. Die Brücke wurde bereits gesperrt.
Nur um die genaue Terminierung der Sprengung gibt es noch Diskrepanzen. Zweifarbfledermäuse, Haselmäuse und Wanderfalken, die jeweils unter Naturschutz stehen, haben sich in der Brücke angesiedelt, was wiederum Naturschützer in Alarmbereitschaft versetzt hat. Eine Einigung kann schnell gehen, aber auch ein langwieriges Politikum werden. Aktuell wird daran gearbeitet, für die Tiere Ersatzquartiere zu schaffen. Ob für Sprengung und Neubau rechtssicher auf ein Planfeststellungsverfahren und eine Umweltverträglichkeitsprüfung verzichtet werden kann, steht jedoch noch aus.
Unabhängig der baurechtlichen Bürokratie, ist der Wegfall der Brücke für die Menschen in der Region und die regionale Wirtschaft ein Schlag in die Magengrube. Für wie lange? Elfriede Sauerwein-Braksiek, Leiterin der Niederlassung Westfalen der Autobahn GmbH, hofft darauf, das Mammut-Projekt innerhalb von fünf Jahren abgeschlossen zu haben. Bis dahin müssen sich die umliegenden Gemeinden auf zurückgestellte Investitionen Gewerbetreibender einstellen, unter Umständen sogar auf Betriebsverlagerungen. Speditionen, Logistiker, Pendler und Anwohner werden die nächsten Jahre nichts zu lachen haben und sich der vagen Hoffnung hingeben müssen, dass in diesem Fall die geplante Bauzeit nicht nur eine grobe Schätzung war, sondern eine für sie verlässliche Angabe ist. Über die Baukosten wurden bisher noch keine Angaben gemacht. Ein Blick in die Kristallkugel des Baugewerbes lässt jedoch erahnen, dass auch hier die Formel „ursprüngliche Baukosten + XX Prozent“ ihre Anwendung finden wird. Aus Sicht des Berliner Flughafens wäre dies jedoch immer noch ein durchaus akzeptables Ergebnis.
Text: Stefan Mothes
Titelbild: Shutterstock
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