12-2021
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Frauenpower im Baubusiness — Wie Dr. Christine Lemaitre und Prof. Dr. Lamia Messari-Becker das Gesicht der Baubranche verändern wollen

Beim jüngst stattgefundenen 14. Deutschen Nachhaltigkeitstag sprachen auch Dr. Christine Lemaitre von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) und Prof. Dr. Lamia Messari-Becker. Beide haben zum Thema Bauen viel zu sagen. Wir haben genauer hingehört.

Unter dem Motto „Warum wir raus müssen aus der Wohlfühl-Nachhaltigkeitsbubble“ hielt Dr. Christine Lemaitre beim 14. Deutschen Nachhaltigkeitstag eine Keynote, die es in sich hatte und das Publikum spürbar fesselte.

„Wir vom DGNB wir beschäftigen uns nur mit Bauen. Bauen geht uns alle an – wir alle wohnen, arbeiten irgendwo“, begann sie ihren Kurzvortrag mit Nachdruck. „Aber wer überlegt sich, ob das Klima im Gebäude gut ist, wie das Licht ist, wie es sich mit der Luft verhält? Beschäftigen Sie sich damit?“, fragte sie rhetorisch aber gezielt in die Runde. „Wahrscheinlich viel zu wenig“, resümierte Lemaitre dabei selbst. Ja, der Bau sei der Elefant im Klimaraum, womit sie die Worte von Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schellnhuber aufgriff, der ebenfalls auf der Veranstaltung gesprochen hatte.

„Bauen geht uns alle an.“

Dr. Christine Lemaitre, DGNB
Dr. Christine Lemaitre, Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, Foto: Dariusz Misztal

Lemaitre, die seit 2010 Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen ist und 2019 den „Eco Innovator Award“ für ihren Einsatz für nachhaltige Entwicklung erhielt, stellt dabei heraus, dass diese Erkenntnis plötzlich wie eine große Überraschung aufgenommen wurde, sechs Jahre nach der Klimakonferenz in Paris. Auf einmal sei die Rede von Ressourcenknappheit und vom „bösen Beton“. Sechs Jahre nach der Pariser Klimakonferenz und der anfänglichen Euphorie „verhandeln wir immer noch“, klagte sie an. Zu Recht. Viele Erkenntnisse sind nicht neu, auch Schellnhuber warnte schon vor 30 Jahren vor den Folgen des Klimawandels – dass die Bauindustrie dabei eine ganz entscheidende Rolle spielt, ist kein Geheimnis.

Cradle-to-Cradle: Keine neue Erfindung

Konzepte wie die Baustoffwiederverwertung nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip ist ebenfalls keine Erfindung von gestern. Vielmehr existiert dieser Ansatz schon seit den 1990er Jahren, als der deutsche Chemiker und Verfahrenstechniker Michael Braungart und der US-amerikanische Architekt William McDonough ein radikales Umdenken beim Herstellungsprozess von Produkten forderten. Auf diese Weise schufen sie gemeinsam das Cradle-to-Cradle-Prinzip, was wörtlich „von der Wiege zur Wiege“ heißt.

Im Jahr 2009 habe es ein Klimadokument mit dem Namen „Vernunft für die Welt“ gegeben, fährt Christine Lemaitre in ihrer Rede fort. Eine Zusage von ungefähr 400 Architekten und Planern – die entscheidenden Größen im deutschen Bauschaffen – für eine ökologische Wende im Städtebau, weniger Materialverbrauch und CO2-Ausstoß und die Wiederverwertung von Baustoffen. Ein vielversprechendes Manifest, aus dem aber „nichts geworden ist“, wie Lemaitre nüchtern anmerkt. Der Großteil der Personen habe gar vergessen, je den eigenen Namen unter das Dokument gesetzt zu haben. „Wir feiern eine Absichtserklärung, als ob es schon das Ergebnis wäre.“

Ein ernüchterndes Fazit der promovierten Bauingenieurin, die an der Universität Stuttgart studierte und neben ihrem Wirken bei zahlreichen Initiativen für Nachhaltigkeit auch regelmäßig bei Tagungen und Kongressen spricht. 

Als ein positives, aber auch schon verhältnismäßig lang zurückliegendes Beispiel führt Lemaitre das Kunstmuseum in Ravensburg an, das 2013 den DGNB-Preis für Nachhaltiges Bauen erhielt und bei welchem zum Beispiel wiederverwendete Altziegel für die Gebäudehülle zum Einsatz kamen. Das sei schon vor zehn Jahren gewesen – und man hatte es geschafft, Kompetenzen zusammenzubringen, man hat sich ausgetauscht, sich bemüht und Architekten und Planer an einen Tisch gebracht. Das sei vor zehn Jahren gewesen. Man müsse nun endlich einmal ins Skalieren kommen.

Hingegen „bauen wir Glastürme in die Wüste, weil wir es können, nicht weil es Sinn macht.“ Starke Worte einer Frau, der man anmerkt, dass sie für das brennt, was sie predigt. Ja, „was machen wir eigentlich?“, fragt sie. „Welche Trends und Signale schicken wir in die Welt?“

„Wir bauen Glastürme in die Wüste, weil wir es können, nicht, weil es Sinn macht.“

Dr. Christine Lemaitre, DGNB

Lemaitre fordert heraus. Bis zum Schluss ihrer Keynote bleibt sie anprangernd, herausfordernd: „Wir haben einfach Sondermüll an unsere Hausfassaden geklatscht – das haben wir einfach gemacht. So sollten wir nun auch einfach mal etwas Neues machen, etwas, das wichtig und richtig ist.“

Zwischen Politik und Bauwirtschaft

Auch die Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen Lamia Messari-Becker, die mit ihrem Wissen auch die Bundesregierung berät, teilte entscheidende Erkenntnisse beim 14. Deutschen Nachhaltigkeitstag, die Veränderung ermöglichen würden.

Laut Messari-Becker gibt es enorm viel Potenzial beim Thema Bestandsgebäude. Das solle doch aktiviert werden. „Es gibt ein Baurecht – aber wenig Umbaurecht in Deutschland.“ In Bestandsgebäuden sei viel graue Energie gebunden – die Bauwirtschaft brauche dafür Kapazität und eine langfristige Planung, so die Bauingenieurin. „Denkt die Bundesregierung an ein Umbaurecht?“

Bauingenieurin und Professorin Lamia Messari-Becker, Foto: Christian Köster

Bauministerium: Eine Chance für die Zukunft?

„Wir haben jetzt ein Bauministerium, das ist eine große Chance“, sagt sie weiter. Fakten würden neu geschaffen werden, es werde verhandelt. „Wir haben Gesetze, die sind 50 Jahre alt“, kritisiert Messari-Becker. Man müsse sich auch Gedanken machen über die Bebauungspläne, wie diese in der Zukunft aussehen werden. Auch gebe es mit den 16 Bundesländern 16 Baurechtskategorien.

Schwerfällige Maschinerie

Worum geht es? Es wird deutlich, dass es eine deutliche Entschlackung der Gesetzeslage geben muss, um eine tiefgreifende und nachhaltige Veränderung im Baugeschehen zu bewirken. Man kann nur erahnen, wie schwerfällig Prozesse sein müssen, wenn man Messari-Becker sprechen hört. Die Politik, das seien die dicken Bretter, wie es auch der Moderator auf den Punkt bringt. Welchen Tipp gibt es, fragt er Messari-Becker, wie könne man sich bemerkbar machen, wenn man Veränderung mit voranbringen will?

Laut Messari-Becker sollte man nicht nur die Regierung sehen. Es gebe viele nachgelagerte Fraktionen, die Zivilgesellschaft, Initiativen, Start-ups, … alle sind wichtig und befähigen, diesen „großen Dampfer Bauwesen“ zu lenken.

Input zum Thema „Wie in Zukunft gebaut werden muss.“ Foto: Christian Köster

Lamia Messari-Becker, Foto: Christian Köster

Doch werden die Ideen auch umgesetzt werden? Oder wird es zu einem „Regulierungsrucksack“ werden, wie es Messari-Becker formuliert. Dass die Wende schneller vonstatten gehen müsste, das zeigen die Zeichen der Zeit. Veränderung: Ein Punkt, der dem Menschen schwerfällt. Sie ist mühselig, sie ist anstrengend. Christine Lemaitre und Lamia Messari-Becker sind zwei Frauen, die diese Anstrengung nicht scheuen und mutig vorangehen. Für Veränderung, für ein Bauen von morgen. Moderner, flexibler und vor allem nachhaltiger.


Text: Marit Albrecht, Titelbild: Dariusz Misztal