05-2021
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Kultur & Architektur. So lässt Rennstrecken-Designer Hermann Tilke die Landeskultur in seinen Werken sprechen

Dass Hermann Tilke über jegliche Ländergrenzen hinweg für seine Rennstrecken bekannt ist, steht außer Frage. In Motorsportkreisen wurde viel geschrieben und berichtet über die Arbeit des Aachener Bauingenieurs. Weniger im Fokus standen dabei bis dato die kulturellen Einflüsse, die sich in seinen Projekten und Rennstrecken widerspiegeln. 

Neben Rennstrecken entwirft das Team um Tilke unter anderem Hotels, Sportanlagen, olympische Schwimmhallen, Fußballstadien und Kongress- und Messezentren – und das rund um den Globus. Dabei versuchten der Bauingenieur und sein Team jeweils, „Zitate aus der Region oder des jeweiligen Landes zu verwenden.“

Die Kunst, Gebäude zum Sprechen zu bringen

Besonders gut sichtbar wird dies am Beispiel des Shanghai International Circuit in China. „In diesem Bauwerk gibt es besonders viele Zitate“, so Tilke. Und dies falle auch vielen Chinesen auf. In den ausladenden Dächern der Haupttribüne, die bis zu 30.000 Zuschauer überdachen können, wurden gezielt Aussparungen getroffen, die später bunt verglast wurden. Ein Zitat an die so landesspezifischen Lampions, die es überall im Lande gibt. Dabei ist auch die Farbauswahl kein Zufall – Rot ja, andere Farben bewusst nein, da sie in der Landeskultur einen eher negativen Anstrich haben. 

Eine weitere kulturelle Anspielung sind zwei sich seitlich an den Tribünen anschließenden riesigen roten Säulen. Diese stehen für die Löwen, die man in China oft an Eingängen findet und die als Wächter des Hauses gelten. 

Unverwechselbar sind auch die abschnittsweise mit „Regenschirmen“ überdachten Tribünen – eine Analogie zu den ebenfalls so oft verwendeten Schirmen in China. Überdimensional und schwer zu verkennen thronen sie über den Zuschauerreihen und sind beim Publikum gut angekommen. 

Das sei auch der Anspruch von Tilke und seiner Mannschaft. Gebäude und Projekte verwirklichen, die den Charakter eines Landes widerspiegeln, Kultur und Region ehren und dem jeweiligen Volk des Landes gerecht werden. Eine Rennstrecke in China gilt als „Arena“ – dies angemessen umzusetzen, ist nicht einfach. „Der Auftraggeber will oft etwas Besonderes, etwas Unverwechselbares. Und wir versuchen dann, dort die Kultur mit einzubeziehen. Das ist uns ein paar Mal gut gelungen“, so der Geschäftsführer und Global Player. 

Bei der Planung solcher Projekte gehen Tilke und sein Team dabei ein bisschen wie die Ermittler im Krimi vor: ausführliche Recherche, gemeinsames Brainstormen, Zusammenfügen von „Puzzleteilen“, um Kultur und Architektur angemessen zusammenzubringen. So kommt dann eins zum anderen und das Bild füge sich. Viele Ideen und Pläne werden aber auch verworfen, da sie nicht umsetzbar sind. Außerdem „wollen wir ja auch nichts nachbauen“, so der Bauingenieur. 

Hart aber herzlich. Besprechungen jenseits gewohnter Normen

Die jeweilige Landeskultur stellt aber natürlich nicht nur beim Planen auf dem Papier und bezüglich des Baulichen eine Herausforderung dar. Bei der Zusammenarbeit mit Menschen ganz anderer Kulturkreise müsse man sich immer wieder anpassen. In Besprechungen gehe es auch mal rau zu, so Tilke. Wie in Russland zum Beispiel. An das sehr bestimmte und laute Sprechen des Gegenübers müsse man sich erst einmal gewöhnen. Im nächsten Moment gibt es Witze und Herzlichkeiten. Ganz anders in China. Dort würde viel „durch die Blume gesagt werden“. Man müsse aufpassen, nichts zu verpassen und sich auf diese Art der indirekten Kommunikation einstellen. 

„Man muss immer denken:

Wir sind Gast in diesem Land.“

Hermann Tilke

Mit etwas Weltoffenheit lerne man schnell. Auch die jahrelange Erfahrung auf internationalem Bauterrain helfe, sich in neuen Kulturen zurechtzufinden. Der Bürokratieaufwand sei in vielen Ländern wesentlich höher als in Deutschland – wo man über selbiges gern und oft schimpft. Doch andernorts seien dahingehend noch viel größere Hürden zu nehmen. Hürden, denen sich Hermann Tilke auch in Zukunft gemeinsam mit seinem internationalen Team stellen wird. Um so seinen Bauwerken eine Geschichte und eine ganz eigene Stimme zu verleihen. 


Hermann Tilke ist Bauingenieur und Geschäftsführer des 1983 in Aachen gegründeten Unternehmens Tilke Ingenieure & Architekten

Fotos: Thilo Vogel, Tilke Ingenieure & Architekten