Das Thema Nachhaltiges Bauen bekommt immer mehr Auftrieb. Die unterschiedlichsten Branchen wenden sich dem Thema zu – prominente Unterstützung gab es nun beim Jahreskongress der DGNB.
Der Brexit hat schon in vielen Bereichen und Branchen seinen Tribut gefordert. Auch die Architekturbranche bleibt nicht verschont, wie Dezeen in einem jüngst veröffentlichten Artikel aufzeigt. Im Gespräch mit mehreren britischen Architekten wird klar, wie kompliziert internationales Arbeiten geworden ist und welche Post-Brexit Befürchtungen wahr geworden sind.
So sagt beispielsweise Stephen Barrett vom renommierten Büro Rogers Stirk Harbour + Partners, dass entgegengesetzt der Versprechungen von Brexit-Befürwortern Prozesse nun komplizierter und teurer geworden sind. Es werde viel mehr Zeit, Energie und Verwaltungsarbeit für bestimmte Abläufe gebraucht. Die Auswirkungen auf das Vereinigte Königreich seien dabei natürlich viel gravierender als auf die Nachbarländer und in Summe sei es noch zu zeitig, um ein akkurates Bild zeichnen zu können. In jedem Falle aber spricht Barrett von einem deutlichen „Eigentor“ in der Geschichte der UK. Schlussfolgernd habe Rogers Stirk Harbour + Partners sein Pariser Büro ausgebaut, um seine Präsenz in der EU zu stärken und weiterhin am Wettbewerb teilnehmen zu können. Ohne EU-Präsenz sei es extrem schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, die nötigen Versicherungen zu bekommen. Wenn er eine Wahl hätte, würden sie als Büro sofort zurückkehren, wie es vor dem Brexit war.
Präsenz in der EU stärken war auch das Mittel der Wahl von Cécile Brisac, Mitgründerin von Brisac Gonzales, einem internationalen Architekturbüro mit Sitz in London. Kurzerhand entschied sie, ein Unternehmen in Frankreich zu gründen. Aufgrund laufender Projekte in der Europäischen Union konnten sie es sich nicht leisten, irgendein Risiko einzugehen. Die Entscheidung stellte sich als goldrichtig heraus. Ohne diese hätten Brisac Gonzales ihre Verträge nicht einhalten können. Cécile Brisac beklagt wie Stephen Barrett die Schwierigkeiten mit Versicherungsfragen und überhaupt dem Recht, als Architekt in der EU praktizieren zu können. Auch seien internationale Kunden aus Angst vor Komplikationen zögerlich, ein britisches Architekturbüro zu engagieren. Die Corona-Pandemie hat dies zusätzlich verstärkt. Brisac empfinde eine größere berufliche Isolierung seit dem Brexit. „It has definitely broken ties.“ Verbindungen wurden definitiv abgeschnitten.
It feels like there is more isolation professionally.
Cécile Brisac, Mitgründerin von Brisac Gonzales
Nicht zuletzt auch zum Arbeitsmarkt. Es sei immer schwieriger, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Dies bedauert auch Sarah Wigglesworth von Sarah Wigglesworth Architects, deren Fokus auf nachhaltigem Design liegt. Sie spricht explizit vom Brexit-Desaster. Weniger Mitarbeiter, höhere Preise, Einbruch der Exporte, Rückgang der Studierenden an britischen Unis. All dies wirkt sich natürlich maßgeblich auf die Arbeit von Architekturbüros wie ihrem aus.
Das dabei die aktuelle Zeit vieles noch verschärft, liegt auf der Hand. Man kann also den Brexit nicht losgelöst betrachten. Das sieht auch Nick Fairham von BDP (Building Design Partnership Ltd) so. Die offenen Grenzen der EU hätten sie als inklusives Studio immer genutzt. Einige Projekte seien aus Bedenken zwecks Brexit zum Stillstand gekommen, in Summe aber habe auch die Pandemie die gesamte Branche auf den Kopf gestellt. Das muss man berücksichtigen. Bei BDP habe man den Design-Ansatz neu überdacht und investiere in digitale Technologie, um den Herausforderungen Herr zu werden, erklärt Geschäftsführer Fairham. Er zeigt sich zuversichtlich und sieht den Mangel an Baumaterial und Arbeitskräften als Chance, wieder lokaler zu denken und die „aufregenden Möglichkeiten des Weiterverwendens anstatt des Wegschmeißens“ zu entdecken. „Necessity ist the mother of invention“ – Notwendigkeit ist die Mutter der Erfindung, meint Fairham, der darauf hofft, dass durch die Notwendigkeit, anders und neu zu arbeiten, Effizienz und Wohlbefinden gesteigert und gleichzeitig die Umwelt geschont werden kann. Laut eigener Aussage betreten wir gerade die Ära des nachsichtigen, nicht des nachlässigen, Designs.
We are entering the era of careful, not careless, design.
Nick Fairham, Geschäftsführer BDP
Statements wie diese machen Hoffnung, dass trotz, oder vielleicht gerade wegen Brexit und Corona nicht alles schlecht sein muss. Geschichtlich betrachtet waren es oft Krisen und Zeiten großer Umbrüche, die letztlich nachhaltig Veränderung gebracht haben. Doch dafür muss es erst einmal weh tun.
Weh tut die aktuelle Lage in der Architektur für Marc Cairns, Geschäftsführer von New Practice, besonders. Als ein Studio, das sich auf Gemeinschaftsprojekte in Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Sektor, lokalen Organisationen und Vereinen spezialisiert hat, haben sie schmerzhaft erleben müssen, dass Budgets aufgrund der nun greifenden Auswirkungen des Austritts aus der EU mitunter komplett heruntergefahren wurden. Dies treffe nun vor allem die benachteiligten Communities. Aber auch er sieht Hoffnung in alledem. Er habe eine größere Kooperationsbereitschaft zwischen Firmen jeglicher Art und Größe beobachten können, um in dieser herausfordernden Übergangsphase Dinge anders zu machen und Innovation voranzutreiben. Er hofft, dass sich dieser Trend in der Branche fortsetzt.
Ob nun aufgrund von Brexit, Corona oder ganz anderen Faktoren, die niemand so ganzheitlich benennen kann: Fakt ist, dass sich die Branche, die Architektur, neu erfinden muss. In Zeiten des sich immer mehr beschleunigenden Klimawandels wird immer deutlicher, dass zwar global gedacht werden muss, das Handeln aber lokal erfolgen muss.
THINK GLOBAL, ACT LOCAL.
Patrick Geddes, schottischer Innovator im Bereich Stadtplanung
So gesehen haben die Corona-Pandemie und der Brexit dahingehend Hand in Hand gearbeitet. Beides lässt noch mehr die Dringlichkeit zu Tage treten, lokaler, innovativer und nachhaltiger zu handeln – eben auch im Bereich Design und Architektur, ob in Großbritannien, in Deutschland oder der Welt.
Titelbild: Shutterstock
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