Wie bei aller Sache gibt es auch in der Architektur viele Ansätze und Visionen. Was treibt einen Architekten an beziehungsweise sollte ihn antreiben? Über all das und Alexander Pötzschs persönlichen Werdegang haben wir mit ihm gesprochen.
Gibt es sie noch, die kleinen familiären Hinterhofwerkstätten, in denen noch analog gewerkelt, ausgebessert und hergestellt wird? In Zeiten von Möbelhausketten und Einrichtungsgegenständen von der Stange weiß kaum noch jemand, was der Beruf des Raumausstatters bedeutet und was man dafür alles können muss. Wir haben es uns genauer angeschaut.
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Betriebe, Firmen und Unternehmen gibt es viele – auch im Handwerk, welches in den letzten Jahren wieder deutlich an Auftrieb gewonnen hat und wieder mehr geschätzt wird. Ein Handwerksbetrieb wie der von Silko Schüler jedoch, ein behänder Berliner mit Wahlheimat Köln, ist eine seltene Perle.
Wir befinden uns in einer Seitenstraße in Köln Nippes. Ein Firmenschild an einer grau gefliesten Hausfassade leitet uns den Weg: „Silko Schüler Raumausstattung – Dekorationen Polsterei Sonnenschutz Bodenbeläge Bootsausstattung“ – wir sind richtig hier. Durch eine graue Einfahrt gelangen wir in einen kleinen Hinterhof. Alles wirkt klein und familiär – von industriellem Werkshallencharakter fehlt jede Spur. Vielmehr versprühen bereits die hölzernen Eingangstüren à la amerikanisches Landhaus mit den quadratischen Fensterchen mit Querstreben eine gewisse Gemütlichkeit – warmes Licht fällt in den grauen Hof. Schon von draußen erhaschen wir Blicke auf Stoffe, Gerätschaften, Sessel. Es herrscht eine warme, einladende Atmosphäre. Wir spüren, dass hier die Uhren noch anders ticken und betreten einen der wohl wenigen Betriebe dieser Art, die es noch in Deutschland gibt.
Kaum befinden wir uns im Inneren des Handwerksbetriebs, sind wir umgeben von einer magischen Atmosphäre – längst verloren im hektischen, modernen und digitalisierten Alltag, in dem wir leben. Entfernte Erinnerungen vom Werken-Unterricht in der Schule kommen hoch. Auch die damalige Werkstatt meines Vaters, der sich in den 90er Jahren als Nähmaschinenmechanikmeister verdient machte, entfaltet sich vor meinem inneren Auge, mit allem was dazugehört: Nähmaschinenkleinteile, Zangen und Werkzeuge, Ersatzmaterial, das kleine Podest, auf dem die jeweilige Nähmaschine quasi wie auf einem OP-Tisch seziert wurde. Von Sterilität jedoch keine Spur. Vielmehr sind da die verschmierten Arbeiterhände meines Vaters, der Geruch von Öl, das Knarzen des Mechanikerstuhls, Gerätschaften, von deren Existenz heute viele nicht einmal mehr wissen. Und vor allem: dieses Wohlgefühl, eine Art Geborgenheit, die dieser Ort ausstrahlt, Ruhe und Entschleunigung trotz Geschäftigkeit und Fleiß. Ein solcher Ort ist auch die Werkstatt von Silko Schüler.
Digital Detox gefällig? Demjenigen sei der Besuch in einer Werkstatt wie die von Silko Schüler ans Herz gelegt. Der Gründer und jedes einzelne seiner Teammitglieder haben ganz bewusst diese Arbeit gewählt, die „Werte mit Händen schafft“, wie er uns später erläutern wird. „Die Menschen draußen sind überdreht und alles ist hektisch. Bei uns inhalieren sie Werkstatt, tatsächliche Werte.“ Bewusst will er ein Gegengewicht zur schnelllebigen, digitalen Welt schaffen, möchte die Wertschätzung für das Handwerk erhalten und Einblick in die Arbeitsprozesse geben.
WIR SCHAFFEN WERTE MIT HÄNDEN.
Silko Schüler
Nachdem wir die Atmosphäre aufgesogen haben und zu verabredeter Uhrzeit in der Werkstatt stehen, kommt der 52-Jährige durch die Tür „geschossen“. Strahlend und voller Schwung und Elan begrüßt uns Silko Schüler, junggebliebener Raumausstattermeister mit Berliner Schnauze, der seit 25 Jahren seinen Betrieb in Köln mit sieben Mitarbeitern führt. Und das mit Herzblut. Das Berlinerisch und die beschwingte Art unseres Gegenübers versprühen Lockerheit, Gelassenheit, Authentizität. Die Art ist ansteckend und wir können verstehen, warum Kunden sich hier wohlfühlen. Vereint mit der kölschen Herzlichkeit ist es eine Kombi, die einfach passt.
Als der Berliner uns schließlich durch seine Werkstatt führt, stoßen wir zu allererst auf einen tierischen Patienten: Ein Lederschwein schaut uns von der Werkbank an. Schnauze, Schlappohren und Kringelschwanz frisch angenäht, kann der Patient seinen Platz als tierisch schöner Sitzhocker in einem familiären Heim wieder einnehmen. Ein Auftrag dieser Art kommt selten vor, erklärt der französische Meister Thierry Tallier, der sich um das Schweinchen gekümmert hat. Mit enorm viel Liebe zum Detail, Können und Fingerspitzengefühl hat er einem bloßen Hocker wieder Charakter und Charme verliehen. Das Werk der eigenen Hände anzusehen, macht stolz – und zaubert im Falle des Lederschweins definitiv ein Lächeln ins Gesicht.
Lederhocker sind nur ein kleiner Ausschnitt aus den Sitzgelegenheiten bei Silko Schüler. Sofalandschaften, Cocktailsessel, Ohrensessel, Stühle und weitere Möbel bzw. Skelette davon stehen bereit. Oft sind es fast schon antike Sofas und Sessel, die den Weg in die Werkstatt finden. Vererbte Herzensstücke, die ausgebessert oder neu aufgearbeitet werden müssen – durch einen neuen Stoff, eine neue Polsterung bekommen sie ein ganz neues, eigenes Gesicht. Mit „von der Stange“ hat das hier nichts zu tun. Was früher gang und gäbe gewesen sei, könne die neue Generation heute gar nicht mehr, so Schüler, der es bedauert, dass heute jeder Abitur macht, während das Handwerk „goldenen Boden“ hat.
DAS HANDWERK HAT GOLDENEN BODEN.
Silko Schüler
Der Meister erklärt uns anhand eines halbfertigen Barocksofas aus dem 19. Jahrhundert traditionelle Polstertechniken, die bei der Wiederaufarbeitung angewandt werden. Auf das Holzgestell und die mit Fassonleinen grob abgesteckte Form kommt eine Schicht Rosshaar. Danach folgt eine Schicht Watte und schließlich der Weißpolsterbezug. Eigentlich grundlegende Begrifflichkeiten, die jedoch erschreckend fremd klingen – in einer Welt, in der uns oft nur noch ein „Klick“ von einem Produkt trennt und über welches wir oft weder wissen, woraus es besteht, noch wo und wie es hergestellt wurde. „Durch den Einsatz dieser alten Handwerkstechniken erzielen wir nicht nur ein besonders schönes Ergebnis, auch die Wertigkeit des Möbels erhöht sich immens“, erläutert Schüler.
Frustration überkommt mich beim Gedanken an meinen letzten Internetkauf: Eine Lampe, die nach zwei Monaten in den Müll wanderte – defekt. Ohne Ahnung und ohne Ansprechpartner war die Entsorgung billiger als jeglicher Aufwand mit dem Gerät. In Schülers Werkstatt gibt es noch Hände, Gesichter hinter den Produkten.
Das beschriebene Sofa wäre in einer Schaumstoffvariante nur ein Drittel so teuer. Sein Produkt ist acht- bis neuntausend Euro wert. „Dieses Sofa hält 100 Jahre“, so der Handwerksprofi. „Und ein solches Stück gibt man weiter, vererbt es.“ Auch das hätten wir vollkommen verloren, bedauert der Praktiker mit seinem hohen Anspruch an die eigene Arbeit. Neben Möbelaufarbeitungen, Polsterarbeiten und Neuanfertigungen (mit Fokus auf individuellen Bänken und Sofas) bietet er auch Dekorationen, Bodenbeläge und textile Bootsausstattungen an.
Jedes Stück, jede Anfertigung ist ein Unikat bei Silko Schüler und genau auf den Kunden abgestimmt. Das ist der Anspruch und dafür kommen die Kunden auch wieder. „Es geht um Qualität und um Emotionen“, so Schüler. „Ick verlege keine Rohre, ick muss die Leute abholen, Wohn-Raum gestalten, so wie es für den jeweiligen Kunden passt und ihn widerspiegelt. Den Psychoanalytiker, den mach ich quasi nebenbei.“ Oft habe er Kunden, die auch erst einmal ein offenes Ohr brauchen. „Ja, na und wenn Oma Liesbeth vorbeikommt, dann geht’s erstmal um den verstorbenen Mann…“ – da sei er dann manchmal zusätzlich der „Psychologe“.
All das spielt eine Rolle, wenn es darum geht, eben den Wohn-Raum eines Menschen auszustatten. Er sei Raum-Ausstatter – und betont dabei bewusst die Dualität von Raum und Ausstatten. Dabei muss das Handwerk sitzen, Emotionen müssen rübergebracht werden, man muss Fantasie haben und sich in den Kunden hineinversetzen können. Und natürlich: Materialien und Qualität müssen stimmen. Dafür hat Schüler eigens eine Qualitäts-Maxime des englischen Sozialreformers John Ruskin in seine Werkstatt gepinnt. Auf einer großen Tafel ist dort zu lesen:
„Es gibt kaum etwas auf dieser Welt, das nicht irgendjemand ein wenig schlechter macht und etwas billiger verkaufen könnte. Die Menschen, die sich nur am Preis orientieren, werden die rechte Beute solcher Machenschaften. Es ist unklug, zu viel zu bezahlen, aber es ist noch schlechter, zu wenig zu bezahlen. Wenn sie zu viel bezahlen, verlieren sie etwas Geld, das ist alles. Wenn sie dagegen zu wenig bezahlen, verlieren sie manchmal alles, da der gekaufte Gegenstand die ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllen kann. Das Gesetz der Wirtschaft verbietet es, für wenig Geld viel Wert zu erhalten. Nehmen sie das niedrigste Angebot an, müssen sie für das Risiko, das sie eingehen, etwas hinzurechnen. Und wenn sie das tun, haben sie auch genug Geld, um für etwas besseres zu bezahlen.“ John Ruskin, engl. Sozialreformer (1819 – 1900)
Es erfordert Mut, einen solchen Spruch nicht nur in die eigene Werkstatt zu hängen, sondern auch als Credo auf die eigene Website zu setzen. Doch genau an dieser Stelle macht der resolute Handwerksmeister keine Kompromisse. „Wenn es die Leute nicht verstehen, dann wollen wir sie auch nicht“, sagt er unmaskiert. Unser Gegenüber verstellt sich nicht. Die authentische Art gefällt uns – man weiß, woran man ist und kann auch selbst man selbst sein.
Den Qualitätsanspruch wissen die zehn Prozent, die laut Schüler zum Raumausstatter und nicht zur nächsten Möbelhauskette gehen, zu schätzen. Mit einigen Kunden entstehen langjährige Freundschaften. „Uns ist es wichtig, immer auf Augenhöhe mit dem Kunden zu arbeiten, immer mit Respekt und Niveau. Wir gehen nicht mehr so viele Kompromisse ein, aber wir arbeiten immer mit Respekt und wir wissen, was wir können.“ Es kommt authentisch rüber – so wie die gesamte Werkstatt, die in der Vergangenheit einmal eine alte Wäscherei gewesen war. „Wir suchen und finden mit den Kunden einen individuellen Weg bei höchster Qualität.“ Das macht auch den Charme dieses Ortes aus, der in eine ganz andere, eigene Welt eintauchen lässt.
Man merkt Schüler an, dass er für seine Arbeit lebt. „Bei uns fängt’s an, wo es schwer wird.“ Dafür braucht es aber ein kompetentes Team. Laut Schüler brauche es auch den Mut und den Intellekt von Innenarchitekten, die Ideen haben und sich Dinge „zusammenspinnen“. So entstehen Design und Visualisierung. Ein Innenarchitekt wisse aber nicht unbedingt, wie bzw. ob der Entwurf auch praktisch umgesetzt werden kann. Gemeinsam mit dem Raumausstatter könne man dann schauen, was geht. Auf einen Entwurf hin erstellen Schüler und sein Team dann eine Handzeichnung. 1:1 auf Kartonage übertragen, geht diese dann zum Schreiner, der das Grundgerüst baut. Parallel dazu werden alle nötigen Materialien bestellt. Wie beim Hausbau ist es auch hier ein Zusammenwirken von vielen Kompetenzen. „Man muss sich Zusammenfinden“, so Schüler. Wenn es der Handwerker umsetzen kann, ist das super. „Man muss sich aber damit beschäftigen.“ Meister werden – und das nicht nur formal. Meister in seiner täglichen Arbeit – und jeder Auftrag, jeder Fall, jeder Mensch ist anders.
BEI UNS FÄNGT’S AN, WO ES SCHWER WIRD.
Silko Schüler
Es ist selten geworden, dass Qualität verbunden mit Menschlichkeit das höchste Credo eines Handwerksbetriebes ist. Viel zu verführerisch ist die Möglichkeit, irgendwo (im Ausland) eben doch billiger produzieren zu können und auf Masse zu machen. Doch wofür? Silko Schüler will gar nicht wachsen. Er und sein Team wollen Handwerk leben – und weitertragen. „Das Handwerk ist ehrlich. Mit Liebe und Leidenschaft kann man was vermitteln“, sagt er, der zusammen mit seinem Team auf über 120 Jahre Berufserfahrung kommt. Auch seinen beiden Mitarbeitern, dem Franzosen Thierry Tallier und Elmar Welter, zwei „alte Hasen“ im Polsterhandwerk, sieht man jeweils die Leidenschaft an ihrem Handwerk an – vertieft und hochkonzentriert widmen sie sich dem Bezug für eine kleine Sitzlandschaft. Als ich ein paar Worte auf Französisch mit Thierry Tallier wechsle, wird ihm klar: „Ah, ihr seid in unserem Auftrag unterwegs. Das Handwerk neu entdecken und zeigen. Es ist eine Kunst. Und wir machen Raumkunst“, sagt er stolz. Nach seiner Ausbildung in Frankreich sammelte er über zehn Jahre lang als „tapissier“ in verschiedenen Betrieben in ganz Frankreich wertvolle Erfahrungen. Sein kostbares Wissen gebe er nur weiter an jemanden, der es zu schätzen wisse und der den Beruf des Raumausstatters hochhält und wirklich machen wolle.
Derzeit lernt ein 17-jähriger Auszubildender in Schülers Werkstatt. Es habe immer wieder Lehrlinge gegeben, doch insgesamt sind es bedeutend weniger geworden. Um die Schulnoten geht es bei der Anstellung nicht. „Wir schauen, ob jemand einen Hammer halten kann und ob der Drive, die Leidenschaft für das Metier da ist.“
Auch wenn das Interesse bei jungen Leuten – wenn auch weniger – noch da zu sein scheint, so müsse sich Silko Schüler als „Exot“ immer wieder erklären. „Wir müssen kämpfen und immer wieder erklären, warum es uns gibt.“ Er vergleicht es mit dem Kauf von gutem Fleisch oder Gemüse. Eigentlich weiß jeder, dass regionale, handgemachte Ware die beste Wahl ist. Danach handeln – tut die große Masse nicht.
Es stimmt mich traurig, dass diese eigentlich so augenscheinliche Konsumwahrheit nicht die Norm ist – sondern eben eine Rarität. Solange es aber Menschen wie Silko Schüler und sein Team gibt, habe ich die Hoffnung, dass das ehrliche Handwerk weitergetragen wird und Bestand hat. Ganz gemäß dem Spirit: „Wir schaffen Werte mit Händen.“
Text: Marit Albrecht
Wie bei aller Sache gibt es auch in der Architektur viele Ansätze und Visionen. Was treibt einen Architekten an beziehungsweise sollte ihn antreiben? Über all das und Alexander Pötzschs persönlichen Werdegang haben wir mit ihm gesprochen.
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