Eine Baustelle muss gut organisiert sein, sonst entsteht bei aller Expertise Chaos. Wir haben dem belgischen Projektleiter François Lafontaine über die Schulter geschaut, wie er seine Projekte managed.
Wie bei aller Sache gibt es auch in der Architektur viele Ansätze und Visionen. Was treibt einen Architekten an beziehungsweise sollte ihn antreiben? Welche Motivatoren gibt es hinter der Arbeit und inwiefern ist das Schöpferische dieses Berufes gesellschaftsrelevant? Über all das und Alexander Pötzschs persönlichen Werdegang haben wir mit ihm gesprochen.
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Ich treffe Alexander Pötzsch in seinem Büro in der Dresdner Neustadt. An einer belebten Straße wuseln Passanten über Kreuzungen, die Straßenbahnen rauschen vorbei, Autos hupen, Fahrräder läuten sich ihren Weg. Im Architekturbüro angekommen, geht es ruhiger zu. Doch nicht weniger geschäftig. Es herrscht eine kreative Arbeitsatmosphäre; das Logo des Büros prangt über mir an der Wand des Besprechungsraumes, ich sitze an einem massiven Holztisch in schlichtem Design. Das Bewusstsein für einen ganzheitlichen Ansatz, für die Verbindung von Architektur und Design, von Innen und Außen, ist sofort spürbar. Mit Hilfe der Räumlichkeiten im Erdgeschoss des Gebäudes an der Königsbrücker Straße, soll dies auch für den Stadtteil erlebbar sein, wie Pötzsch später erklärt, um die Bewohner teilhaben zu lassen, an dem, was sich sonst meist nur hinter verschlossenen Türen abspielt. Architektur als Ganzes betrachten und kommunizieren, die Gesellschaft dahingehend einbeziehen – schon sind wir direkt beim Thema.
Groß gewachsen, mit wachsamem Blick und Rundbrille vermittelt der Gründer und leitende Kopf von ALEXANDER POETZSCH ARCHITEKTEN eine Bereitschaft zum Dialog, die nicht selbstverständlich ist und die all sein Wirken und auch unser Gespräch bestimmt.
Geboren 1976 im damaligen Karl-Marx-Stadt (jetzt Chemnitz) war Alexander Pötzschs Interesse für Architektur früh geweckt. Nachdem er als kleiner Junge Dampfwalzen- oder Lokomotivführer werden wollte, ließen ihn Erzählungen, alte Bilder und Pläne vom Architekten-Großvater schließlich neugierig werden. Er stöberte früh in Fachbüchern und entwickelte eine Nostalgie für den „Sehnsuchtsberuf Architekt“. Trotz der Zielstrebigkeit vieler damaliger Mitschüler, die nach dem Abitur ein BWL- oder Jurastudium in Angriff nahmen, folgte Alexander Pötzsch seiner inneren Stimme, die ihm klar den Weg wies: Architektur.
Im Grundstudium gab es die ersten Zweifel. „Ich bin da sehr blauäugig reingesegelt“, erklärt er. „Viele Kommilitonen hatten Architekten-Eltern oder schon einmal ein Praktikum gemacht und wussten genau, was man in diesem Beruf macht.“ Nach den ersten beiden Semestern und der Frage, ob sein Weg denn wirklich der richtige sei, zog er für kurze Zeit den Lehrerberuf für Deutsch und Geschichte in Erwägung. Lehrerfreunde, mit denen sich daraufhin Gespräche anschlossen, gaben Pötzsch jedoch klar zu verstehen: „Mach Architektur!“ Da die Zeit des Studiums viel Freiheit mit sich bringt und auch eine Phase der Selbstfindung ist, könne man schnell ins Straucheln geraten und verloren gehen, wie Pötzsch resümiert. „Ich habe mich aber zügig gefangen und Vertrauen zu mir gefunden“, sagt er weiter.
Ab diesem Punkt gab es für ihn keinen Zweifel mehr; der Kurs stand nunmehr auf „Erfolg“. Auf meine Frage hin, was das Schwierigste am Architekturstudium gewesen sei, bringt der Diplom-Absolvent nicht das von mir erwartete fachliche Können an. Vielmehr bezieht er sich auf Themen wie Selbstfindung, Selbstdisziplin und Terminmanagement. „Am Ende macht man immer eine Nachtschicht“, erinnert er sich. Auch das „Bei-sich-selbst-Sein“ nahm einen großen Stellenwert für ihn ein, nicht den anderen bedienen oder „weil das eben der Professor sagt“. Bemerkenswert wie ich finde, in einer Gesellschaft, in der trotz suggerierter Freiheiten mitunter ein Konformismus regiert, der das Finden zu sich selbst nicht immer einfach macht. Apropos „Finden“: Laut Pötzsch war auch der Übergang in den Beruf nach dem Studium eine Schwierigkeit: in die Realität finden und Fuß fassen, Gelerntes umsetzen und die eigene Handschrift entwickeln.
Fuß fasste Alexander Pötzsch an verschiedenen Orten seines Lebens, was ihn nachhaltig prägen sollte. Da ist sein Geburtsort Chemnitz, mit seiner Unfertigkeit und einem gewissen Pioniergeist – hier waren und sind Dinge noch möglich. Dieses Aufrichtige, Ehrliche, Handfeste, aber auch Schmuddelige mache seinen Reiz aus, so der Sachse, der immer fasziniert war von seiner Heimatstadt, die noch nicht fertig ist. Sowieso dürfe man, laut Pötzsch, als Stadt nie an den Punkt kommen, eine Status-quo-Mentalität zu entwickeln und somit die Offenheit für Anderes und Neues verlieren. „Da kommt Chemnitz aus einer ganz anderen Ecke und ist ein spannender Gegensatz zu Dresden.“ Ob er gern ein Projekt in seiner Heimatstadt verwirklichen würde, frage ich. „Wenn sich etwas ergibt, bin ich dabei. Ein Homecoming quasi, das wäre schon toll“, sagt er mit einem Hauch von Nostalgie in der Stimme.
Neben Dresden, Ort des Studiums und der Selbstfindung und -verwirklichung, war auch Stockholm eine weitere wichtige Station im Leben von Alexander Pötzsch. Als Austauschstudent an der Königlich Technischen Hochschule (KTH) kam er rasch in Kontakt mit Architekturstudenten aus aller Welt. Jeder brachte eigene Ansichten, Herangehensweisen, Ideen und Hintergründe mit, was die Mentalität des jungen Studenten maßgeblich prägen sollte: die Offenheit für andere und Anderes, Mut zum Austausch und Dialog, das eklektische Verbinden von Methodiken und Stilrichtungen. Zudem gab es Professoren, die zum Nachdenken anregten, Inspiration gaben und für Pötzsch ganz neuen Input bereithielten. „Die Themen, die Kommunikation und Herangehensweise der dortigen Professoren hat mein architektonisches Denken stark geprägt“, berichtet der Pluralist. Vor allem auch der hohe Stellenwert von Innenarchitektur, Einrichtung und Design beeinflussten ihn. In Skandinavien herrsche eine viel ganzheitlichere Betrachtung auf die Architektur – ein Ansatz, den Pötzsch schätzt und den er bei seinen eigenen Projekten ganz vorn anstellt.
Der Abstand zum regulären Studium in Dresden half ihm außerdem, seinen Weg neu auszurichten und eine Kurskorrektur vorzunehmen. „Was genau willst du erreichen, was ist dir wichtig?“ waren aufkommende Fragen, die von außen und mit etwas Distanz besser beantwortet werden konnten.
Mit seinen Antworten im Gepäck und dem Tatendrang, mit Architektur die Welt ein bisschen besser machen zu wollen, startete Pötzsch nach seinem Studium als projektverantwortlicher Architekt und anschließend Mitinhaber bei zanderarchitekten. Sein erstes Haus, ein Neubau inklusive Altbausanierung in der Dresdner Neustadt, betreute er von A bis Z, von den ersten Strichen bis hin zur Umsetzung, wobei er „viel gelitten“ habe und gemerkt hat, welche Konsequenzen ein banaler Strich später beim Bau haben kann. Entsprechend sei er gewachsen und konnte seine ersten Erfolge feiern. Nach seinem Lieblingsprojekt gefragt, erwidert Pötzsch, dass das so wäre, als würde man eine Mutter fragen, welches ihrer Kinder ihr Liebling sei. Alle Projekte seien wie „Babys“, ein jedes toll und besonders mit einer ganz eigenen Geschichte, einem Charakter und einem Bauherrn, den es auch nur einmal gibt. So sind auch die Anforderungen immer andere, jedes Projekt ist einmalig. Das gefällt dem Geschäftsführer von ALEXANDER POETZSCH ARCHITEKTEN, der sich auf jedes Projekt ganz neu einlässt. Eine Spezialisierung auf eine bestimmte Sparte ist nicht sein Weg, sondern vielmehr die Auseinandersetzung mit Neuem. „Oder aber man holt sich Partner dazu“, fügt er hinzu. Der Generalist packt gern unterschiedlichste Dinge an, ist vielseitig und integriert gemäß einem ganzheitlichen Ansatz gern die Innenarchitektur als einen Hauptpfeiler in seine architektonische Handschrift.
Was ich sonst noch von Alexander Pötzsch wissen will: Warum man Architekt bzw. Architektin werden sollte. „Weil man die Welt verbessern kann – und will“, bekomme ich zu hören. Auch hier eine Antwort, mit der ich so nicht gerechnet hätte und die Herz und Passion meines Gegenübers verdeutlichen. Als Architekt sei man stückweise Idealist, Utopist und gleichzeitig Soziologe. Mit eigenen Ideen und der entsprechenden Begeisterung kann man Menschen überzeugen, mitnehmen. Der Glaube an eine Verbesserung der Welt sei wichtig, laut Pötzsch, sowie der Anspruch, jedes Mal die bestmögliche Lösung zu finden. Ein misslungenes Gemälde könne man abhängen, ein schlechtes Theaterstück verlassen – ein Haus ist gebaute Substanz und bestimmt über Jahrzehnte das Landschafts- und Stadtbild. Er sei da generell sehr selbstkritisch, in dem langen Prozess von Idee und Entwurf hin zum fertigen Produkt. „Man muss viel Kraft aufbringen, Ideen bis zum Ende zu tragen.“
An Ideen mangelt es ihm nicht. Als Gründer und Geschäftsführer eines Architekturbüros, Mitglied der ZEITGENOSSEN (Initiative für zeitgenössische Baukultur), stellvertretender Landesvorsitzender des BDA Sachsen (Bund Deutscher Architekten) und Mitglied der Vertreterversammlung der Architektenkammer Sachsens bringt sich Alexander Pötzsch in vielen Bereichen ein, setzt sich vor allem für Dialog, Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit und ein Um- und Neudenken in Bau und Architektur ein. „Baukultur und Architektur sind gesamtgesellschaftliche Verantwortungsbereiche, sie betreffen alle – jeder wohnt und hat eine Meinung zur Architektur.“ Aus diesem Grund ist es auch wichtig, laut Pötzsch, permanent den Austausch zu suchen, die Menschen einer Stadt mehr in Bauprojekte einzubeziehen, mehr zu erklären und zu kommunizieren. Das Kommunikationsgefälle, das durch den teils verwendeten Fachjargon der Architekten entstehen kann, hält er für problematisch. „Wir Architekten müssen lernen, auf Augenhöhe zu kommunizieren, damit kein Experten-Laien-Gefälle entsteht und die Menschen sich nicht unverstanden fühlen.“ Sowieso wolle er gern verstehen und ergründen, wie es zu diesem Widerstand gegenüber zeitgenössischer Architektur kommen konnte, diese Entfremdung zwischen dem, was die Gesellschaft allgemeinhin unter guter Architektur versteht und dem, was momentan passiert. „An der Uni reduziert und abstrahiert man. Doch parallel dazu findet eine Gegenbewegung der neuen Gemütlichkeit, des Retros statt. „Warum ist das so, wie konnte es so weit kommen?“ Fragen, die Alexander Pötzsch bewegen. Aus diesem Grund müsse man viel mehr kommunizieren, die Menschen abholen und mitnehmen. Es reiche nicht, einfach nur „gute Architektur“ zu bauen.
„Was ist das überhaupt, gute Architektur?“, frage ich. Ein wissendes Lachen zeichnet sich auf dem Gesicht meines Gegenübers ab und der Diplom-Architekt holt aus: „Die richtige Antwort, an der richtigen Stelle, mit den richtigen Mitteln, in der richtigen Erscheinung“, so der Experte mit Herz für Kommunikation und Klarheit. Zwischen Wirtschaftlichkeit, Funktionalität und den Anforderungen des Bauherrn müsse das richtige Verhältnis gefunden werden. Es dürfe nie ein Projekt in Eigenregie sein oder motiviert durch ein eigenes Geltungsbedürfnis – es muss sich einfügen in das bauliche Umfeld, angemessen sein und die Vorstellungen des Bauherrn bedienen. Die Architekten seien nur die „Übersetzungshilfen für ein ganzheitliches Werk in Teamarbeit“, erklärt er.
„ICH BIN UNHEIMLICH GERN ARCHITEKT.“
ALEXANDER PÖTZSCH
Neben der „guten Architektur“ hält es Pötzsch für unabdingbar, diese auch zu kommunizieren und vielmehr die Gesellschaft schon vorab daran teilhaben zu lassen. „Mission Baukultur“ – das Motto von ALEXANDER POETZSCH ARCHITEKTEN – bedeutet, den gesamten Prozess des Entwerfens und Bauens gemeinsam zu gestalten. „Beim Miteinander geht es los“, höre ich. Das Berufsbild hätte sich gewandelt. Man baut nicht einfach ein Gebäude, welches im Nachhinein rezensiert und bewertet wird. Nein – all das findet jetzt statt, bevor man überhaupt ans Bauen denkt, gibt der 45-Jährige zu verstehen. Man müsse verstärkt als Kommunikator und Mediator auftreten: vor Bauausschüssen, bei Beteiligungsverfahren und Bürgerinitiativen. Dabei muss man begeistern und überzeugen können – und das findet Alexander Pötzsch gut.
Seine Begeisterung nimmt man ihm ab. Die Zeit, die er sich für unser Gespräch nimmt, die Tiefe der Details, die Einblicke, die er gibt – all das spricht für sich. Als wir über eines seiner aktuellen Projekte sprechen – die Dresdner Schokoladenfabrik, über welche wir bereits berichtet haben – ist sein Tatendrang unverkennbar, seine Begeisterung dafür greifbar. „Etwas Marodes, völlig Zerschundenes in die Nutzung zu überführen, das finde ich besonders reizvoll.“ Sowieso ist er der Meinung, man müsse viel mehr mit Bestandsimmobilien arbeiten, alten Bestand wieder nutzbar machen und so die Nachhaltigkeit in das Baugewerbe bringen.
Viele Ideen, viele Visionen, für die Alexander Pötzsch sich einsetzt und weiterhin kämpfen wird. Schließlich gestaltet jeder Architekt und jede Architektin aktiv unseren unmittelbaren Lebensraum. Dieser Verantwortung ist sich Pötzsch bewusst und übernimmt sie gern.
Und so arbeitet der Architekt mit Vision weiter auf der Basis seiner Werte und Überzeugungen – ganzheitlich orientiert, passioniert und stets im Dialog.
Vielen Dank für das spannende Gespräch!
Das Interview führte Marit Albrecht
Fotos: ALEXANDER PÖTZSCH ARCHITEKTEN
Eine Baustelle muss gut organisiert sein, sonst entsteht bei aller Expertise Chaos. Wir haben dem belgischen Projektleiter François Lafontaine über die Schulter geschaut, wie er seine Projekte managed.
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