Holzbauarchitektur kann sich sehen lassen. Und betritt zunehmend die großen Architekturbühnen der Welt. Paris 2024 im Zuge der Olympischen Spiele zeigt es.
Seit dem 7. Mai 2023 kann im Neuen Rathaus in Suhl die Ausstellung „Zwei deutsche Architekturen 1949-1989“ besucht werden. Der Eintritt ist kostenlos und ohne vorherige Anmeldung möglich. Nach 30 verschiedenen Stationen weltweit ist die Ausstellung nun in Thüringen angekommen und bis Jahresende 2023 zu besichtigen.
Wie der Titel verrät, geht es um die Entwicklung des Bauens in den beiden deutschen Staaten – BRD und DDR – nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Mauerfall. „Sie soll den wertschätzenden Umgang mit den architektonischen Zeugnissen dieser Epoche anregen“, heißt es im MDR Thüringen Journal.
Laut Kuratorin Simone Hain, die die Ausstellung 2004 zusammen mit einem Team konzipierte, sei vor allem die Dokumentation zur DDR-Baugeschichte eine „große Herausforderung“ gewesen. „Bis heute gibt es kein Architekturmuseum im Osten“, erklärt sie im MDR Thüringen Journal. Entsprechend habe sie sich in Garagen, Kellern und privaten Nachlässen von Fotographen auf die Suche nach Sammlungsgut, Beständen und Material gemacht.
Das Ergebnis der Recherche kann sich sehen lassen: Anhand unzähliger Beispiele west- und ostdeutscher Baugeschichte kann sich der Besucher ein eigenes, umfassendes Bild über die Entwicklung in der BRD und der DDR machen. Ob man im Zeitraum 1949 bis 1989 dabei wirklich von „zwei deutschen Architekturen“ sprechen kann, bleibt in der Ausstellung jedoch unbeantwortet. Laut Epilog könne dies „erst aus hinreichender historischer Distanz beurteilt werden.“ Vielmehr regt die Ausstellung an, sich mit der deutschen Baukultur auseinanderzusetzen und lädt zum Stöbern und Entdecken von zahlreichen Bauprojekten mit ihren Modellen, Bauplänen und Fotografien ein.
Zu entdecken gibt es dabei viel. Das Eintauchen in die Sammlung macht etwas mit dem Besucher. So zeichnet sich vor dem inneren Auge ein Bild ab, das vorher lückenhaft – wenn überhaupt präsent – gewesen war. Beispiele geordnet nach farblich abgesetzten Kategorien wie „Wohnen und Freizeit“, „Kultur und Glauben“, „Bildung und Ausbildung“, „Wirtschaft und Verkehrt“ oder „Staat“ setzen das Puzzle „gebaute Umwelt“ in Ost und West vor dem eigenen geistigen Auge immer weiter zusammen.
Dabei gibt es für Neulinge der Branche wie auch Fachpublikum viel zu sehen. An Stellwänden, die selbst den Charakter von Gebäuden im Raum annehmen, führt ein kurzer Text in die jeweiligen Kategorien ein. Bildmaterial und Pläne sind jeweils als herausziehbare Schublade gestaltet und bieten einen detaillierteren Blick auf die Projekte. Modelle aus Holz in Glasvitrinen runden die Darstellung ab.
Der Besucher liest, sieht und erkennt: Unsere Städte haben eine Geschichte, es gibt Gründe, warum unsere Gebäude und Ortschaften so aussehen, wie sie es tun. Was einem vorher vielleicht als anmaßende Bausünde vorkam, erscheint plötzlich in ganz neuem Licht. Spektakuläre Projekte wie der Olympiapark München oder der Berliner Fernsehturm gewinnen angesichts ihrer ideologischen „Geladenheit“ ebenfalls einen neuen Beigeschmack.
Neben den bekannten Beispielen wie Philharmonie Berlin, Palast der Republik, Café Moskau, Regierungsviertel Bonn, Dresdner Zwinger oder Frankfurter Goethe-Haus sind es auch die vielen weniger bekannten Projekte in Ost und West, die das innere Bild bereichern und die eigene Kenntnis über die deutsche Baukultur vertiefen und prägen. So werden neben Sakralbauten, Shoppingcentern, Sportstätten und Massenwohnsiedlungen auch Schulgebäude und Kindertagesstätten vorgestellt. Erwähnt sei an dieser Stelle der Kindergarten in Halle-Neustadt von Erich Hauschild aus dem Jahr 1968, der mit seiner besonderen Formensprache und der speziellen Dachkonstruktion aus Deltaschalen ins Auge sticht, oder der Omnibusbahnhof in Chemnitz, dessen Pylonen-Hängedach mittlerweile unter Denkmalschutz steht.
An mancher Stelle erscheint es einem fraglich, ob sich nach 1949 wirklich zwei unterschiedliche deutsche Architektursprachen entwickelt haben. Machten doch ähnliche Bedürfnisse in beiden Ländern auch ein ähnliches Vorgehen oft unabdingbar: Der dringliche Wohnungsbedarf befeuerte hier und dort gleichermaßen den Massenwohnungsbau. Auch Konsumtempel und Freizeiteinrichtungen nahmen im Ringen um die „bessere Staatsform“ in Ost und West oft ähnliche Gestalt an. Ein „Wettbauen“, wenn man so will, setzte in Ost und West gleichermaßen renommierte Architekten „in Gang“, die sich oft der gleichen, eben damals vorherrschenden Architektursprache bedienten.
Und dennoch gibt es auch Unterschiede: Während der vorrangig US-amerikanisch geprägte Westen stark auf den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur im Sinne von Flughäfen (Beispiel Köln-Bonn), Autobahnen und Individualmobilität setzte, prägten die Bedürfnisse des Fußgängers den Städtebau in der DDR. Auch beim Thema Einfamilienhäuser hatten Architekten in der BRD deutlich mehr (Gestaltungs)-Spielraum – in der DDR „fehlte dieses architektonische Aufgabenfeld weitgehend“, heißt es in der Ausstellung. Auch in der Außendarstellung hatte die BRD aufgrund ihres Alleinvertretungsanspruchs mehr Möglichkeiten, sich außerhalb des eigenen Territoriums Denkmäler zu setzen (deutscher Pavillon Weltausstellung Brüssel, 1958 und Montreal, 1967). Die DDR blieb auf „wenige Botschaftsbauten in Ländern des Warschauer Paktes“ beschränkt, lautet es auf einer der Informationstafeln.
Was von der Ausstellung bleibt? Trotz schwarz-weiß-Fotografien ein buntes Bild der vielfältigen deutschen Baugeschichte in der ehemaligen BRD und DDR mit ihren Hintergründen und politischen Zusammenhängen. Ein Zusammenwachsen zu einer neuen gemeinsamen Baukultur zeichne sich laut Ausstellungs-Epilog seit der Wiedervereinigung nicht ab. Wie sich die deutsche Baugeschichte weiterentwickelt, werden die Jahre zeigen. Ein eindrückliches Zeugnis von vier Jahrzehnten deutscher Baukultur findet sich jedenfalls momentan in Suhl.
„Zwei deutsche Architekturen 1949—1989“
Eine Ausstellung von: ifa – Institut für Auslandsbeziehungen e. V. in Kooperation mit der Föderation deutschsprachiger Architektursammlungen, LEG Thüringen und weitere Institutionen, unterstützt von der Architektenkammer Thüringen, Kuratorin: Prof. Dr. Simone Hain
Text: Marit Albrecht
Fotos: © Bricks Don’t Lie
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