Wir erläutern die Hintergründe des Stopps der KfW 55-Förderung und warum das sogar eine Chance für nachhaltigeres Bauen sein kann.
Bauen im Bestand war in meiner Praxis als Architekt stets ein Thema. Wir haben Gebäude aller Nutzungstypologien saniert und revitalisiert. Bisweilen gab es auch Konversionen, also Nutzungsänderungen. In den letzten Jahren ist vor dem Hintergrund der Wohnungsknappheit in den Ballungsräumen bei gleichzeitig stark wachsenden Leerständen im Bürosegment und der Erkenntnis, dass Abriss und Neubau den CO2-Ausstoß quasi verdoppeln, ein geradezu ideologischer Streit über den Umgang mit dem Gebäudebestand entbrannt.
Forderungen nach einem Baumoratorium machten die Runde. Ideologie ist aber ein schlechter Ratgeber – kaum eine Bauaufgabe ist technisch, rechtlich, gesellschaftlich und wirtschaftlich anspruchsvoller als das Bauen im Bestand, insbesondere bei einer Nutzungsänderung. Der Reflex „Abriss und Neubau“ ist allerdings genauso falsch wie das Festhalten am Bestand um jeden Preis. Vielmehr gilt es, eine Vielzahl von Aspekten abzuwägen, Untersuchungen anzustellen und in einer Bewertungsmatrix zusammenzuführen und objektiv zu bewerten.
Dass auch der existierende Wohnungsbestand vor dem Hintergrund der angestrebten Klimaneutralität bis 2045 vor großen Herausforderungen steht, hat sich herumgesprochen. Die energetische Ertüchtigung ist eine Herkulesaufgabe, insbesondere wenn man sich klarmacht, dass 60 % des Wohnungsbestandes älter als 50 Jahre ist, also gebaut wurde, bevor es die erste Wärmeschutzverordnung (1977), heute GEG, gab. Aber auch ohne die Klimaziele wären hier hohe Investitionen unumgänglich. So geht es aber um eine erschwerte Form der Bestands- beziehungsweise Werterhaltung.
Spannender ist der Blick auf die zahlreichen leerstehenden Bürogebäude. Baurechtlich hat man es jetzt mit einer Nutzungsänderung zu tun, die neben den zahlreichen technischen eine Vielzahl von baurechtlichen Themen nach sich zieht. Die Grundrisstypologie von Bürogebäuden und Wohnhäusern unterscheidet sich gravierend. Es stellen sich unzählige Fragen:
Passt die Anordnung und die Anzahl von Treppenhauskernen? Lässt sich der Brandschutz mit vertretbarem Aufwand ertüchtigen beziehungsweise anpassen? Wie sieht es mit der lichten Raumhöhe oder der Baukörpertiefe aus? Funktioniert die Tagesbelichtung und sind etwaige Innenhöfe ausreichend dimensioniert, um die nötige Durchlüftung zu gewährleisten? Lassen sich die notwendigen Ver- und Entsorgungsschächte herstellen oder Versorgungsleitungen eventuell verziehen? Lassen sich vernünftige Wohnungsgrundrisse von Außenwand zu Außenwand organisieren oder sind lediglich Appartement-Strukturen möglich? Kann die Überhitzungsgefahr der Innenräume bei länger andauernden Hitzeperioden ausgeschlossen werden, oder muss neben Heizung auch für Kühlung gesorgt werden? Können Balkone, Loggien oder wenigstens Austritte geschaffen werden?
Um die Baukosten in Schach zu halten, darf ein gewisses Maß an Eingriffen in den Rohbau nicht überschritten werden, sonst schlägt das wirtschaftliche Pendel gefährlich schnell zu Abriss und Neubau aus. Auch die Verkehrs- oder Gewerbelärmpegel in der unmittelbaren Umgebung können eine Konversion von Büro zu Wohnen erschweren oder einen nicht mehr vertretbaren baulichen Aufwand auslösen.
All diese erschwerten Bedingungen dürfen uns aber nicht resignieren lassen. Mit den steigenden Leerständen im Büroimmobilienmarkt müssen wir konstruktiv und kreativ umgehen – sie werden zunehmend zur Belastung für unsere Städte. Auch die Politik hat das Thema erkannt und einfache Formeln entwickelt – das Thema gar zum Heilsbringer erkoren. Lassen sich hier doch mindestens fünf Fliegen mit einer Klappe schlagen: Wir beseitigen den Büroleerstand, wir lösen das Wohnungsproblem, wir brauchen kein zusätzliches Bauland, wir nutzen vorhandene Infrastruktur und wir vermeiden oder verringern zusätzlichen CO2-Ausstoß.
Für mehr Klarheit lohnt ein Blick auf die tatsächlichen Potenziale. Das ifo Institut hat in Zusammenarbeit mit Colliers kürzlich eine Studie veröffentlicht und eine nüchterne arithmetische Betrachtung vorgenommen. Unter Berücksichtigung der technischen und baurechtlichen Gegebenheiten gehen die Verfasser der Studie davon aus, dass nur circa 30 % der leerstehenden Büros für eine Umwandlung in Wohnungen infrage kämen. Bezogen auf den aktuellen Leerstand zuzüglich eines weiteren Nachfragerückgangs infolge hybrider Arbeitsmodelle ergibt dies in den deutschen Immobilienhochburgen zusammengenommen ein Konversionspotenzial von rund 5,8 Millionen Quadratmetern. Mit der Umwandlung gehen aufgrund von zusätzlichen Verkehrs-, Konstruktions- und Schachtflächen etc. ungefähr 20 % Fläche verloren. Bei einer angenommenen durchschnittlichen Wohnungsgröße von 77 Quadratmetern könnten somit also 60.000 Wohnungen geschaffen werden, die Raum für circa 100.000 Menschen bieten.
Preiswerter ist der so geschaffene Wohnraum, auch nach meiner Erfahrung, nur in den seltensten Fällen, da aufgrund der Nutzungsänderung der Bestandsschutz fällt und die aktuellen Normen und Regeln der Technik angewendet werden müssen. Ein weiterer Kostentreiber ist der kleinteilige selektive Rückbau. Weder die Gebäudehülle noch der Innenausbau, geschweige denn die Gebäudetechnik, können beibehalten werden und selbst der Rohbau erfährt Veränderungen. Abweichungen von den aktuell gültigen Standards etwa beim Schallschutz der technischen Ausstattung oder bei den Anforderungen an die Barrierefreiheit etc. könnten helfen, den Kostendruck zu reduzieren, manifestieren aber auch Schwachstellen für die kommende Nutzungsperiode.
Ein radikalerer zusätzlicher Ansatz wäre, den Bestandsschutz auch bei einer Nutzungsänderung weitgehend zu erhalten, oder das Bauordnungsrecht, das im Zeitraum der Erbauung gültig war, beizubehalten, ausgenommen bei sicherheitsrelevanten Themen wie Standsicherheit oder Brandschutz. Denkbar wäre auch, den Erhalt von Bausubstanz mit der Zuteilung von CO2-Zertifikaten zu belohnen, die von denjenigen gekauft werden müssten, die Bestandsgebäude ohne substanzielle Begründung abreißen. Analog zur steuerlichen Abschreibung von 2 % über 50 Jahre könnte man auch über eine CO2-Abschreibung von X % über einen Zeitraum X nachdenken. Der Gebäudeeigentümer, der abreißt, bevor das CO2 komplett abgeschrieben ist, müsste den verbleibenden Rest als „Rucksack“ mit in ein geplantes Neubauprojekt nehmen, das dann umso CO2-optimierter geplant und gebaut werden müsste, um die CO2-Vorgaben einzuhalten. Kohlenstoffdioxid muss neben Euro zu einer Art Währung werden, um eine Lenkungswirkung zu entfalten beziehungsweise zu innovativen Konzepten zu motivieren. Für Besitzer größerer Immobilienportfolios greift ab 2026 (vorausgesetzt sie wird in nationales Recht umgesetzt) die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Unter Abteilung E5 sind die Bereiche Rohstoffverbrauch und Kreislaufwirtschaft geregelt – ein zusätzlicher Treiber.
Substanzerhalt ist die Königsdisziplin der Kreislaufwirtschaft. Gebäude so zu konzipieren, dass sie für mehrere Nutzungszyklen taugen, sollte uns in Zukunft leiten – vielleicht gibt es irgendwann neben den nutzungsspezifischen Baugenehmigungen auch eine nutzungsneutrale Baugenehmigung. Wir brauchen Gebäude, in denen sich ein breites Spektrum von Nutzungen ansiedeln kann – dann wird Konversion zur Normalität.
Dieser Text wurde von Gerhard Feldmeyer verfasst und gehört zu einer wiederkehrenden Kolumne. Gerhard G. Feldmeyer wurde 1956 geboren, studierte Architektur an der Universität Stuttgart und war über zwei Jahrzehnte Geschäftsführender Gesellschafter bei HPP Architekten. Seit Januar 2023 engagiert er sich als Botschafter der Madaster Foundation und ist Berater der Landmarken AG und deren Tochtergesellschaft Moringa GmbH im Bereich Real Estate Product Innovation. Er bezeichnet sich selbst als „Bauwende-Beschleuniger“ und ist regelmäßig als Speaker in Sachen „Bauwende“ unterwegs.
Titelbild: Zoo-Residenz, Düsseldorf: HPP Architekten GmbH / Zoo-Residenz GmbH, Visualisierung: IMAGINA
Wir erläutern die Hintergründe des Stopps der KfW 55-Förderung und warum das sogar eine Chance für nachhaltigeres Bauen sein kann.
Eine Baufirma im Wandel der Zeit erfolgreich zu führen, fordert einiges ab. Wir haben mit Geschäftsführer Hans-Ulrich Kainzinger der Enke-Werke in Düsseldorf über seine Erfahrungen und Zukunftsvisionen im Baugewerbe gesprochen.