11-2022
11-2022

Bauwende jetzt! Das CRCLR-Haus in Berlin zeigt, wie es geht

Das Thema Kreislaufwirtschaft ist für viele keine Neuheit mehr. Auch in der Baubranche ist der Begriff des zirkulären Bauens längst angekommen. Der Weg hin zu einer echten Kreislaufwirtschaft im Bauwesen, mit flächendeckender Wiederverwendung bereits genutzter Baustoffe und dem Einsatz nachhaltiger Materialien, ist jedoch holprig.

Wenig erprobt sind auch die damit zusammenhängenden Planungs- und Ausführungsprozesse. Wie baue ich ein Haus, das mühelos wieder auseinandergebaut werden kann? Wer kann mir Fliesen oder Fenster so rückbauen, dass ich sie in einem anderen Gebäude wieder zum Einsatz bringen kann? Wo bekomme ich gebrauchte Baustoffe her? Und wie plane ich überhaupt mit bereits genutzten Stoffen und Materialien, wenn ich nicht weiß, ob sie den Normen für das neue Gebäude entsprechen?

Unzählige Ungewissheiten und Unwägbarkeiten begleiten ein Recycling-Bauvorhaben. Immer mehr Planer und Architekten wagen sich trotzdem an diese Herausforderungen, öffnen sich für neue Ideen und Herangehensweisen, um eine Bauwende voranzutreiben, die längst überfällig ist – auch wenn gesetzliche Bestimmungen und gezielte Subventionen im großen Stil noch fehlen.

Beispiele wie das Recyclinghaus in Hannover, das rückbaubare Braunstein Taphouse in Køge, Dänemark, das Holzhochhaus T3 in Minneapolis, USA vom mehrfach ausgezeichneten Architekten Michael Green (das Holz stammt größtenteils von Bäumen, die durch den lokalen Borkenkäfer abgestorben waren) oder aber auch das Collage House in Mumbai, Indien von S+PS Architects zeugen davon, dass sich die Entwicklung beziehungsweise die Wiederentdeckung des zirkulären Bauens längst auf internationalem Maßstab abspielt.

Pionierprojekt: CRCLR-Haus in Berlin

Ein mutiges Vorreiterprojekt findet sich auch in unserer Landeshauptstadt: das CRCLR-Haus in Berlin Neukölln. CRCLR steht für Circular und ist richtungsweisend für das gesamte Projekt: eine „kollektive Baustelle“, die gemeinnützige Interessen verfolgt und nachhaltiges Wohnen und Arbeiten mit einem möglichst zirkulären Bau verbinden will. Aus der alten Fasslagerhalle der ehemaligen Kindl-Brauerei Mitten in Neukölln wird somit seit Juni 2020 ein gemeinschaftliches Büro- und Wohngebäude, kurz: CRCLR. Die 1000 Quadratmeter große Bestandshalle wurde dafür ertüchtigt und renoviert und ist als Coworking-Space von Impact Hub bereits in der Nutzung. Eine mehrgeschossige Aufstockung für zukünftiges gemeinschaftliches Wohnen ist derzeit im Bau. Zielsetzung war dabei, so nachhaltig wie möglich zu bauen – Holz und Stroh kommen ebenso zum Einsatz wie bereits verwendete Materialien aus anderen Gebäuden. Im Innenausbau der Halle, verantwortet durch LXSY Architekten, liegt dieser Anteil bei 70 Prozent.

Großbaustelle in Berlin-Neukölln an der Rollbergstraße. Das CRCLR-Haus nimmt Gestalt an.

Impact Hub Berlin hat seine Büros trotz laufender Bauarbeiten bereits bezogen.

Im CRCLR-Haus bietet Impact Hub Berlin einen Coworking-Space für nachhaltigkeitsorientierte Unternehmen.

Die Anfänge: Nein zur Immobilienspekulation, ja zur Kreislaufwirtschaft

Begonnen aber hat alles schon ein paar Jahre früher: Nach der Schließung der Brauerei kaufte die Terra Libra Immobilien GmbH, eine Tochtergesellschaft der Stiftung Edith Maryon, im Jahr 2015 das Areal an der Rollbergstraße, das viele Jahre eher eine Art Schattendasein geführt hatte und kaum entwickelt war. In Zusammenarbeit mit einem Künstlerkollektiv war es Ziel der Stiftung, das Areal mit den dazugehörigen Bestandsbauten der Immobilienspekulation zu entziehen und ein Nutzungskonzept zu entwickeln, das ein gemeinschaftsorientiertes Leben, Wirken und Arbeiten in den Vordergrund rückt.

In einem langen Prozess mit vielen Beteiligten, Mitwirkenden und nicht zuletzt den zukünftigen Nutzern ist auch der Gedanke der Kreislaufwirtschaft entstanden, welcher zum Fokus des ganzen Projektes werden sollte. Die Gründung der TRNSFRM eG als gemeinwohlorientierte Bauträgerin besiegelte diese Entwicklung und legte den Grundstein für das alternative Bauprojekt.

Die Kollektive Baustelle

Da der Bau ohne abgeschlossene Ausführungsplanung und mit zum Teil gesammelten und teils aus dem Bestandsgebäude rückgebauten Materialien starten sollte, war es „sehr schwer, normale Fachfirmen zu gewinnen“, wie uns Dominik Fornezzi vom Team Kommunikation und Projektentwicklung bei der TRNSFRM eG erklärt. „Oder die Preise waren so hoch, dass sie nicht mehr im Rahmen der Gesamtkosten gewesen wären.“ Über Netzwerke und Kontakte seien dann aber circa 30 Fach- und Hilfsarbeiter zusammengekommen, die gemeinsam die „Kollektive Baustelle“ gegründeten. Die aus der Not geborene Idee habe letztlich sogar die Gründung eines eigenen kleinen Unternehmens mit Spezialisierung auf zirkuläres Bauen (Heap59) nach sich gezogen.

Die Handwerkerinnen und Handwerker hätten „eine enorme Lernkurve“ erfahren, wie Fornezzi anschaulich erklärt, da zum Beispiel auch für den Bau der Außenwände – in Strohballenbauweise – kein Fachunternehmen gefunden werden konnte. So wurde Heap59 dann wiederum von Mitgliedern des Fachverbands Strohballenbau Deutschland e.V. geschult. Wissensaustausch und das gemeinsame Ziehen an einem Strang waren frühe Pfeiler des Vorhabens und brachten eine Dynamik in das Projekt, die es stetig vorantrieben.

Rohe Materialien sorgen für Ursprünglichkeit. Das spezielles Folienblatt kann auf Beton…

…und Holz verwendet werden und ist ablösbar.

Natürliche Materialien und viel sichtbares Holz schaffen ein warmes Flair.

Gebrauchtes und Neues soll im Gebäude bewusst sichtbar bleiben. Bei der Tragwerkskonstruktion konnte auf Stahlbeton nicht verzichtet werden.

Mischung der Materialien: Fliesen, Holz, Kalksandstein. Wo es möglich war, wurden Restmaterialien von lokalen Handwerksbetrieben verwendet.

Aufgang zur Galerie. Zur Ressourcenminimierung ist das Mauerwerk bewusst unverputzt und in seiner ursprünglichen Form belassen.

Großteile der Galerie-Küche sind vom ehemaligen Impact Hub-Büro mit umgezogen.

Gebrauchte Holzdielen aus einer Berliner Altbauwohnung und alte Bodengitterroste bilden Sitzbank und -lehne im Galeriebereich.

Blick von der Galerie in einen der Community-Bereiche.

Mit Klemmen angebrachte Rohre dienen als Handlauf der Treppe.

Einkauf auf der Mülldeponie

„Aus verschiedenen Teilen Deutschlands sind die Leute hierhergekommen und hatten Lust auf das Projekt“, so der Kommunikationsverantwortliche. Die ungefähr 30 Personen starke Gruppe organisierte sich und legte einfach los: Auf Abrissbaustellen wurden Bauteile gesucht, fotografiert, abgemessen und geprüft. Wie viel ist vorhanden? Wie viel ist noch zu verwenden und wofür? Auf diese Weise wurden zum Beispiel Fenster, sanitäre Anlagen, Türen, aber auch bestimmte Steine für den Bau angenommen, eingekauft und gelagert. Durch Kontakte in die Schweiz und nicht zuletzt eine glückliche Fügung konnte das größte Fundstück für das CRCLR-Haus erstanden werden: 106 Fenster aus einem Schweizer Wohngebäude, die nach nur wenigen Jahren im Einsatz auf der Mülldeponie gelandet wären. „Das ist ein super Beispiel dafür, wie mit Baustoffen umgegangen wird“, moniert Fornezzi. Der Preis inklusive Transport, Neuverglasung und Lagerung der Fenster sei ein absoluter Glücksfall gewesen und bei einem Neukauf nicht annähernd erreicht worden. Nicht immer jedoch fügen sich die Dinge auf diese Weise und in der Bauplanung war oft unklar, womit geplant werden soll, da man nicht wusste, welche Materialien man wann findet. Zeitliche Verzögerungen bedeutete automatisch Kostenexplosion.

Ein Glücksgriff: 106 Fenster aus einem ehemaligen Schweizer Wohngebäude.

Nach einer Ertüchtigung wurden die gebrauchten Fenster im CRCLR-Gebäude eingebaut und somit erneut in den Baustoff-Kreislauf aufgenommen.

Holzbalken als Fensterbretter: ursprüngliche Rauheit und Originalität hinsichtlich Haptik und Optik kommt bewusst zum Einsatz.

Wissensaustausch

Erfahrungs- und Wissensaustausch dieser so wenig erprobten Prozesse lieferten auch hier die Schweizer Kontakte. „In der Schweiz ist kreislaufgerechtes Bauen viel stärker erprobt als in Deutschland“, erklärt Dominik Fornezzi. „Die Wiederverwendung von Materialien mit besonderen Anforderungen ist in der Schweiz einfacherer, da sowohl die Materialprüfung als auch die Gewährleistungsregelungen besser geregelt sind. In Deutschland fehlt dafür teils der rechtliche Rahmen.“ Das baubüro in situ aus Basel habe dabei viel zur Wissensteilung beigetragen und beispielsweise seine Erfahrung im Bereich Strohbau und Planung und Ausführung mit Re-Use-Bauteilen weitergegeben. Strohbauweise bestimmt die Aufstockung des CRCLR-Hauses, die zu einem Großteil aus nachhaltigen Materialien gebaut wird und ab 2023 bezugsfertig sein soll. Der Holzständerbau dazu beruht auf dem Rückbau-Prinzip „schrauben und klotzen statt kleben und nageln“. Die kompakten Strohballenwände werden vor Ort gefertigt und eingebaut. Dabei müsse man genau darauf achten, alles trocken zu halten und nichts im feuchten Zustand zu verbauen.

Eine riesige Herausforderung

Das sei eine „riesige Herausforderung gewesen“, erklärt Dominik Fornezzi, so wie eine ganze Reihe anderer Schwierigkeiten, die das Team immer wieder an ihre Grenzen gebracht habe: erhöhte Kosten durch Logistik und die zusätzlich benötigten Flächen der Baustelleneinrichtung für wiederverwendete Materialien; die Koordination von Hilfskraft, Facharbeiter, Planer und Gewerk mit ihren unterschiedlichen Herangehensweisen; die interne Wissensvermittlung; Materialprüfung und ungeklärte Gewährleistungsregelungen; die Einhaltung von Kosten- und Zeitplänen und vor allem die parallel zur Ausführung laufende Planung. Das Know-how für zirkuläres Bauen musste sich während des gesamtem Prozesses erst angeeignet werden. Eine gewisse Fehlerquote ließ sich dabei nicht vermeiden. So kam es zum Beispiel vor, dass Fenster falsch eingebaut wurden, rückgebaut und neu eingebaut werden mussten. Zudem kam die Herausforderung der Coronapandemie. „Alle mussten mit dieser Belastung arbeiten.“ Es sei sehr mutig gewesen, das alles so zu machen. „Doch das Gebäude steht, es war möglich“, freut sich Dominik Fornezzi.

Das Innenleben wurde auf das Wesentliche reduziert und ist deshalb in seiner ursprünglichen Form sichtbar: Verschraubungen, Leitungsführung, Rohmaterialien.

Um nicht unnötig Materialien zu verbrauchen, ist alles offen gehalten. Auch die Decken sind nicht abgehangen.

Eingangsbereich des Impact Hub. Zusammen mit einer Tischlerei wurde ein Konzept entwickelt, wie Reststoffe Weiterverwendung finden können – hier als Art „Schindeln“ (vorn im Bild).

Viele der Möbel im Impact Hub sind Leihgegenstände und können zurückgegeben und somit im Kreislauf erhalten werden.

Holz, Fliesen, Gegenstände inkl. Sichtschutzvorhang (rechts im Bild) finden im Impact Hub ein zweites Leben.

Offener Coworking-Space und abgetrenntes Büro im Hintergrund. Die Holzverkleidung ist eine Mischung aus alten und neuen Hölzern.

Holzständerbauweise dominiert den Innenausbau. Um einen Rückbau zu gewährleisten, ist alles offen verschraubt und unverspachtelt gehalten.

Natürliche Materialien, wie hier Holzwolle, dienen als Dämmmaterial.

Ein abtrennbares Folienblatt kennzeichnet eine „Meeting-Kabine“ in einem der Gänge des Impact Hub.

Grobspanplatten finden Verwendung als Fußboden und Wandverkleidung. Auf sogenannten „Tischlertouren“ in Berlin konnten viele Holzreste für eine Weiternutzung generiert werden.

Als ehemaliges Ausstellungsmaterial finden diese gut erhaltenen Schließfächer Verwendung im Galeriebereich des Impact Hub.

Gebrauchte Sofas wurden gereinigt und neu gestaltet, um sie an das Gesamtfarbkonzept anzupassen.

Abgang von der Galerie mit Sitzbereich. Der Innenausbau besteht zu 70 Prozent aus wiederverwendeten bzw. nachhaltigen Materialien.

Die Stühle im Community-Bereich entstammen einer Berliner Schule. Sie wurden aufgearbeitet, geölt und farblich angepasst.

Impact Hub Berlin verschreibt sich einer sozial und ökologisch nachhaltigen Entwicklung. Auch das CRCLR-Haus soll dafür stehen.

Experimentalbau

Kein leichtes Projekt, bei dem es zudem noch „viel Luft nach oben“ gebe, wie Dominik Fornezzi zugibt. Einige Dinge habe man „sehr konservativ eingebaut“ und auch bei der Tragwerkskonstruktion habe man beim Thema Nachhaltigkeit aus Kostengründen Abstriche machen müssen und auf herkömmlichen Stahlbeton zurückgegriffen. Dies sei aber Teil eines Pionierprojektes dieser Art. „Dafür ist das Vorhaben da, um Fehler zu machen, zu lernen und auszuprobieren“, resümiert Fornezzi. Auch der Architekt Christian Schöningh vom Team die Zusammenarbeiter habe immer gesagt: „Experimentieren impliziert auch Scheitern.“ Von Scheitern kann beim CRCLR-Projekt jedoch keine Rede sein.

Zuschüsse aus dem Sondervermögen Infrastruktur der Wachsenden Stadt (SIWA) im Rahmen einer Ausschreibung des Berliner Senats für experimentellen Geschosswohnungsbau bedeuteten von Finanzierungsseite her den „Kick-off“ des Projektes. Wenn die zukünftigen Subventionen, Anreize und Fördergelder jetzt in die richtige Richtung gingen, dann könne sich auch im größeren Stil etwas ändern und CRCLR müsse – neben anderen beispielhaften Bauvorhaben bundesweit – kein Leuchtturmprojekt mehr bleiben, ist Dominik Fornezzi der Meinung.

Bestandsgebäude als Materiallager

Dafür müsse man aber noch in eine echte Kreislaufwirtschaft kommen: jedes Gebäude als Materiallager begreifen, das man wieder auseinandernehmen oder kompostieren kann. Zudem müssten Baustofflager geschaffen werden, wo bereits verwendete Baustoffe und Materialien begutachtet, aufbereitet und weiterverkauft werden können. „Sobald es so etwas gibt, dann ist die Richtung klar“, so Fornezzi. „Das wirft den gesamten vorhandenen, konservativen Ablauf eines Bauvorhabens um.“

Das Gebäude „ALLTAG“ befindet sich ebenfalls auf dem ehemaligen Brauereigelände. Auch zu Teilen in zirkulärer Bauweise errichtet, beherbergt es u. a. ein Gesundheitskollektiv.

Studierende der TU Berlin haben auf dem Gelände einen Pavillon aus gebrauchten Materialien errichtet, der komplett rückbaubar ist.

Der Pavillon befindet sich inmitten eines Gemeinschaftsgartens auf dem Gelände.

Momentan laufe eine interne Auswertung, um anhand von Zahlen und Daten Erkenntnisse über und durch das Bauprojekt zu erhalten, für weitere Bauvorhaben zu optimieren, und diese im Rahmen einer breiteren Wissensvermittlung intern, aber später bestenfalls auch in Fachgewerkskreisen, weitergeben zu können.

Noch steht CRCLR stellvertretend für ein alternatives Bauvorhaben, das geprägt ist von unzähligen Unsicherheiten, von Risiko, Mut und Wagemut. Das Bewusstsein für den Wert von Ressourcen und Baustoffen schärft sich zunehmend, eine Transformation ist unaufhaltsam. CRCLR zeigt, wie es gehen kann.

Weiterführende Links zum Thema:


Text: Marit Albrecht
Bilder: © Bricks Don’t Lie, Marit Albrecht