Welche Rolle spielt die europäische Architektenschaft für die Transformation unserer gebauten Umwelt hin zu mehr Qualität und Nachhaltigkeit? Ruth Schagemann vom Architects‘ Council of Europe verrät es.
Der Deutsche mag es ordentlich und aufgeräumt. Das gilt auch für seinen Vorgarten. Vier von zehn Deutschen besitzen einen solchen. Als „Visitenkarte des Hauses“, wie es in der ZDF-Dokumentation „Zugekiest und zugeschottert – Wie Deutschlands Gärten versteinern“ von Inga Thiede so treffend heißt, legen viele Deutsche diesen sauber und steril mit Kies und Schotter an.
Vermeintlich pflegeleicht verlockt die Vorstellung, dadurch einen wartungsarmen, vorzeigbaren, „immergrauen“ Vorgarten zu haben. Auch in anderen Ländern, wie in den Niederlanden, erfreut sich die graue Gartengestaltung großer Beliebtheit. „Und wenn einer erst anfängt zu schottern, ziehen viele nach“, heißt es im Doku-Film.
Doch nicht jedem gefällt der Trend und auch das wachsende Bewusstsein für die Erhaltung der Artenvielfalt und den Schutz des Klimas lässt Proteststimmen wach werden. Der Biologe Ulf Soltau nennt sie „Gärten des Grauens“ und hat sich mit seiner gleichnamigen Facebook-Seite, die den Schotter-Trend seziert und parodiert, eine Anhängerschaft von mehr als 100.000 „Fans“ aufgebaut. Als einer der bekanntesten Kritiker der Kies- und Schottergärten bewirtschaftet er mit Leidenschaft und Herz seinen verwilderten, aber lebendigen Schrebergarten in Berlin.
„Unkräuter kommen auch in solchen Schottergärten früher oder später auf“, so Soltau. „Pflegeleicht sind solche Gärten nur unter Einsatz von Herbiziden. Diese sterilen Flächen müssen der Natur immer wieder aufs Neue abgetrotzt werden.“ Durch das unter dem Kies befindliche Vlies würde der Boden zudem isoliert und sozusagen von der Ökosphäre abgeschnitten, es gäbe keine Pflanzen, deren Wurzeln den Boden aufnahmefähig für Wasser machen, geschweige denn Tiere, die im Schotter Nahrung finden, erklärt Soltau weiter.
Auch die hohen Temperaturen im Sommer, wenn sich die Kies- und Schotterflächen tagsüber auf bis zu 70 Grad Celsius aufheizen, sind problematisch, lassen die oft schon spärliche Bepflanzung austrocknen und kühlen nachts kaum ab. Ein Feind für Pflanze und Tier.
Mit Prof. Thomas Schmitt, einem der führenden Insektenkundler Deutschlands, vom Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut Müncheberg, hat der grüne, wilde und lebendige Vorgarten einen weiteren stimmstarken Verfechter. Er betrachtet das Artensterben mit Sorge und ist der Meinung, dass nicht nur die industrielle Landwirtschaft durch Ausweitung der Agrarflächen zur Reduzierung der Artenvielfalt und dem Insektensterben beiträgt – sondern eben auch die versteinerten Privatgärten.
„Der Marienkäfer braucht genau das, was viele nicht wollen. Völlig verlauste Pflanzen. Sie fressen jede Menge an Läusen weg. Da braucht man gar kein Blattlausgift einsetzen, wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, zu leben.“
Zwei Prozent der Fläche in Deutschland seien Naturschutzgebiet, so Schmitt. Auch die privaten Gärten liegen in diesem Bereich. „Es ist also nicht unbedeutend, was in den Gärten passiert.“ Mit Nachdruck bringt er rüber, dass die Summe der Gartenflächen in Deutschland einen Beitrag zu Arten- und Klimaschutz leisten kann.
Neben der schlechten ökologischen Bilanz der versteinerten Vorgärten und der doch aufwendigeren Pflege, als viele glauben mögen, kommen noch ein paar weitere Negativaspekte hinzu: Schotter und Kies sind teuer und laut! Darauf Kinder spielen lassen oder Autos parken? Das ist unbequem und vor allem laut. Außerdem ist die Anschaffung der Steine nicht billig. Der Natursteinhandel hat sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht, wie aus der ZDF-Doku hervorgeht. Dabei zahlen Privatkunden pro Tonne Kalkstein fünfmal mehr als die Industrie. Die Händler machen ein gutes Geschäft – und lassen bestimmte Gesteinsarten, die es in unseren Breiten nicht gibt, erst einmal um die halbe Welt schiffen, um der Kundschaft ein noch größeres Angebot unterbreiten zu können. Schon wieder sind wir bei der Ökobilanz. Und der Kreis schließt sich. Alles hängt zusammen.
Die Steine, die wiederum in den 3300 Kies- und Natursteinbetrieben in Deutschland selbst abgebaut werden, verschlingen riesige Flächen – sechs Fußballfelder pro Tag, heißt es im Film von TV-Journalistin Inga Thiede. Sie durchlöchern ganze Landschaften und bedrohen jahrhundertealte Quellen und Moore, die durch die Nähe zu den Gruben austrocknen und zerstört werden, so Matthias Schrank vom Naturschutzbund Großdittmannsdorf.
Umweltwissenschaftler Dr. Frank Messner vom Helmholtz-Zentrum Leipzig sieht zudem die Gesamtheit der Abbaugebiete kritisch. „Der Boden, der abgebaut wird, ist vollständig verloren. Er lässt sich auch für keine andere Nutzung mehr verwenden“, erklärt er dem ZDF. Zudem können die großen Grubenflächen Auswirkungen auf das Grundwasser haben, was Messner ebenfalls für problematisch hält.
Die Politik hat nun aber schon seit geraumer Zeit die Reißleine gezogen – wenn nicht bundesweit, so gibt es doch mittlerweile vielerorts, und in manchen Gegenden schon seit Jahren, ein Verbot von Schottergärten, welches zum Beispiel in Baden-Württemberg durch ein Naturschutzgesetz implementiert wurde. Dort heißt es in § 21a „Gartenanlagen“:
Es ist darauf hinzuwirken, dass Gartenanlagen insektenfreundlich gestaltet werden und Gartenflächen vorwiegend begrünt werden. Schotterungen zur Gestaltung von privaten Gärten sind grundsätzlich keine andere zulässige Verwendung im Sinne des § 9 Absatz 1 Satz 1 LBO. Gartenflächen sollen ferner wasseraufnahmefähig belassen oder hergestellt werden.
Städte wie Xanten, Hamburg, Bremen, Heilbronn und Erlangen haben Schottergärten in Neubaugebieten verboten. Auch in Würzburg, Herford und Paderborn müssen Hausbesitzer auf ihr Grau vorm Haus verzichten, da die entsprechenden Bauordnungen dies untersagen. In vielen Kommunen gibt es einen ähnlichen Trend. Und in der Bauordnung von Mecklenburg-Vorpommern ist beispielsweise festgehalten: „Die nicht mit Gebäuden oder vergleichbaren baulichen Anlagen überbauten Flächen der bebauten Grundstücke sind 1. wasseraufnahmefähig zu belassen oder herzustellen und 2. zu begrünen oder zu bepflanzen.“ (Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern)
Wermutstropfen für Umweltschützer: Bereits bestehende Steingärten müssen nicht zurückgebaut oder begrünt werden. Auch gibt es noch zahlreiche Gegenden, in denen die grauen Vorhöfe der Siedlungen „sprießen“. Mit Appellen und Freiwilligkeit konnte bis jetzt nicht viel bewegt werden. Auch, weil viele gar nicht so richtig wissen, dass es konkrete Regularien für die Gestaltung ihrer Vorgärten gibt, wie auch die Süddeutsche Zeitung in ihrem Artikel Schottergärten sind Schwarzbauten schreibt. Durch das explizite Verbieten an immer mehr Standorten kann und soll Veränderung von oben bewirkt werden – richtig, wie wir finden. Wie beim gesamten Thema Bauwende und Nachhaltigkeit im Bau ist die Politik gefragt. Damit sich der Häuslebauer nicht mehr fragt: Granit, Schotter oder Kalkstein? Sondern: Hundsrose, Weißdorn oder roter Hartriegel? Oder wann haben sie das letzte Mal einen Schmetterling oder einen Singvogel in ihrem Vorgarten gesehen?
Text: Marit Albrecht
Titelbild: Shutterstock
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