… liegt im Auge des Betrachters. In unserer Interviewreihe Mein perfektes Zuhause befragen wir regelmäßig Personen aus dem Metier des Baus oder darüber hinaus, was für sie das perfekte Zuhause ausmacht.
Einen Tunnelblick kann man dem Künstler Yadegar Asisi wahrlich nicht bescheinigen. Viel mehr einen Rundumblick. Für diesen steht er seit 2003 und kann mit Stolz von sich behaupten, die weltweit größten Panoramen zu gestalten. Ursprünglich hätte Yadegar Asisi im Heimatland seiner Eltern, dem Iran, das Licht der Welt erblicken sollen. Aber die brisante politische Situation Mitte der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts mischten die Karten auf grausame Weise neu. Sein Vater wurde hingerichtet und seine schwangere Mutter musste die Flucht ins sichere Europa antreten. So wurde Yadegar Asisi 1955 in Wien geboren und gelangte mit seiner Mutter und seinen fünf Geschwistern über Polen in die damalige DDR. Der sozialistische Stiefbruder der BRD war zu jener Zeit nicht unbedingt ein Flüchtlingsland – Yadegar Asisi bezeichnete sich daher auch selbst als „Ausländer der ersten Stunde“. Die Integration lief trotzdem perfekt und der Junge wuchs in geordneten Verhältnissen in Sachsen-Anhalt sowie Sachsen (Halle, später Leipzig) auf. Da Malen und Zeichnen schon immer eine Leidenschaft von Yadegar Asisi waren, studierte er nach dem Abitur in Dresden Architektur. Doch erneut stand eine Veränderung im Raum, denn das SED-Regime verlangte 1978 seine Ausreise aus dem Arbeiter- und Bauernstaat, nachdem es seine „väterliche“ Pflicht gegenüber dem wohlwollend geduldeten Flüchtling erfüllt hatte.
Bereits in den 90er-Jahren beschäftigte sich Yadegar Asisi mit der Darstellung von Panoramen, vor denen er dieselbe Ehrfurcht empfand, wie damals die Menschen beim Betrachten einer biblischen Szene in der Kuppel einer großen Kirche. Wie Yadegar Asisi selbst resümiert, weckten bei ihm schon als Kind „Meister wie Andrea Mantegna oder Leonardo da Vinci […] Fragen nach den Möglichkeiten, innerhalb eines zweidimensionalen Tafelbildes dreidimensionale Räume darzustellen“.
Yadegar Asisi blieb in Deutschland, siedelte sich allerdings auf der anderen Seite der Mauer, in Westberlin, an. Im Nachhinein betrachtet, war dies für den jungen Architekten aus beruflicher Sicht ein Segen und in gewisser Weise auch vorbezeichnet. Welcher junge Architekturstudent hätte wohl die Erfüllung seiner kreativen Ambitionen in einem städtebaulichen Konzept gefunden, welches zunehmend auf WBS 70 Plattenbauten setzte? Daher drückte der damals 23-jährige Diplom-Ingenieur in Berlin noch einmal die Schulbank und begann in Erinnerung an seine wahre „Jugendliebe“ – das Zeichnen – ein Studium der Malerei an der Hochschule der Künste. Viele Jahre später vermittelte Yadegar Asisi selbst sein Wissen als Professor für Freie Darstellung/Entwurf an der Beuth-Hochschule für Technik Berlin.
Einen geeigneten Ort für seine eigenen Projekte fand Asisi nach der Jahrtausendwende mit dem Leipziger Gasometer in Connewitz. Der ehemalige Gasspeicher wurde 2002 saniert und umgebaut und ist seitdem als „Panometer“ bekannt – eine Wortschöpfung, die sich aus Panorama und Gasometer zusammensetzt. 2003 konnten die Besucher dort das Pilotprojekt „Everest“ bestaunen, welches als Hommage an das damals 50-jährige Jubiläum der Erstbesteigung des Mount Everest durch Edmund Hillary und Tenzing Norgay gedacht war. Medial anfangs sehr zurückhaltend betrachtet, sprach sich die Einzigartigkeit dieses Rundumkunstwerks auf 3.500 Quadratmetern Panoramafläche schnell herum und lockte in zwei Jahren rund 450.000 Besucher in das Panometer. Das Besondere an diesem 360-Grad-Panorama: Asisi zeigte den Besuchern nicht die (erwartete) Rundumsicht vom Berggipfel, sondern platzierte den virtuellen Standpunkt auf dem Hochplateau, welches zu jener Zeit als Basislager gedient hatte. So konnten die Betrachter die majestätische Größe des höchsten Berges der Welt noch besser erfassen und sich in die Gefühlslage der Bergsteiger hineinversetzen, die sich an den gefahrvollen Aufstieg wagten und dabei ihr Leben riskierten.
Drei Jahre später, im Jahr 2003, kam auch die sächsische Landeshauptstadt in den Genuss eines Panometers und des ersten Großprojektes, dem Barockpanorama „1756 Dresden“, welches diesmal bereits vom ersten Tag an auf große Resonanz stieß. Nach „1756 Dresden“ folgte ein – für die Geschichte der Stadt sehr bedeutsames – Panorama mit dem Titel „Dresden 1945“, welches die im 2. Weltkrieg durch Fliegerbomben zerstörte Stadt zeigte. Neben den zwei sächsischen Standorten gibt es mittlerweile noch weitere, dauerhafte Panoramaprojekte in Berlin, Pforzheim, Wittenberg, Hannover und Rouen (Frankreich).
„Erfunden“ wurde das 360-Grad-Panorama von dem in Schottland lebenden irischen Maler Robert Barker, der aus der Mitte eines Parks heraus jeweils Leinwand um Leinwand malte, bis er wieder am Ausgangspunkt war. Die Bilder stellte er dann in Kreisform in sein Atelier und hatte so einen Rundumblick seines geliebten Parks in Edinburgh. Diese Idee ließ er sich auch patentieren. Die Panoramen von Yadegar Asisi bestehen in ihrer Komposition aus unzähligen Einzelbildern, die auf Stoffbahnen gedruckt sind, welche bis zu 100 Meter lang und 30 Meter hoch sind. Wie Robert Barker möchte auch Yadegar Asisi mit seinen Panoramaprojekten, die er bis zur Realisation eigenhändig konzipiert und plant, den Betrachter in den Mittelpunkt stellen und ihm die perfekte Illusion bieten. Neben der Platzierung des Besuchers auf einem Aussichtsturm mit mehreren Ebenen wird dies ergänzend durch Lichteffekte, Geräuschkulissen und musikalische Untermalung erreicht. So kann der Besucher auf künstlerische Weise sehr emotional in fremde Welten und vergangene Epochen einsteigen. Thematisch ist das Spektrum dabei sehr weit und reicht von historischen Ereignissen wie „Dresden 1945“ oder „Leipzig 1813 – in den Wirren der Völkerschlacht“ bis hin zur bildgewaltigen Darstellung der Natur wie bei den Panoramen „Amazonien“ oder „Great Barrier Reef“. Trotz sorgfältiger Recherchen erhebt Yadegar Asisi bei seinen Kunstwerken keinen Anspruch auf hundertprozentige Genauigkeit, sondern will vor allem eine Geschichte erzählen, genauso wie dies auch ein Filmregisseur tun würde. Sein Anspruch besteht in der authentischen Darstellung einer Thematik, welche den Betrachter nachhaltig berührt und zum Nachdenken anregt. Dafür steht der Name Yadegar Asisi und wer seine Kunstwerke aufmerksam betrachtet, wird feststellen, dass sich der Künstler – wenn auch sehr dezent – auf jedem seiner Kunstwerke verewigt hat. In welcher Form verrät nur ein Besuch einer seiner Ausstellungen.
Um sein Wissen abseits der Hörsäle weiterzugeben, hat Yadegar Asisi im Frühjahr 2020 einen eigenen Youtube-Kanal ins Leben gerufen. Auf dem Kanal, der mittlerweile schon mehr als 25.000 Abonnenten hat, finden sich aktuell (Stand: Januar 2023) fast 300 Videos rund um die Themen Zeichnen, Malerei, Panorama und Kunst im Allgemeinen. Auch die Hintergründe zu seinen Panoramen werden in einzelnen Beiträgen kurz und informativ erläutert.
Text: Stefan Mothes
Fotos: © asisi
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