„Downsizing“ kann viele Gesichter haben. Ob in der Fahrzeugbranche oder aber im Immobilien- und Architektursektor. Was es heißt und welche Möglichkeiten es gibt? Wir haben es untersucht.
Alte Industrie- und Arbeiterstädte gibt es in Europa, aber auch weltweit, zuhauf. Sie unterscheiden sich jedoch in mehr oder weniger beispielhaften Entwicklungen für einen positiven, nachhaltigen Strukturwandel. Einige von ihnen erleben eine post-industrielle Blütezeit – wie das baskische Bilbao.
Die nordspanische Stadt ist Wegweiser und Vorbild zugleich, für Städte und Gemeinden in der ganzen Welt. Was andere Arbeiter- und Industriestädte hier lernen können und was es wirklich mit dem Bilbao-Effekt auf sich hat – das haben wir uns von einem ortsansässigen Architekten genauer erklären lassen.
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Eine Stadt hat es geschafft: Bilbao, mit seinem weltberühmten Guggenheim Museum, ist ein ganz besonderes Beispiel für eine durchdachte, nachhaltige Stadtentwicklung, die weit über das Architektur-Highlight Guggenheim von Architekt Frank Gehry hinausgeht.
Wir treffen den deutschen Architekten Bernd Nitsch, der seit 2004 in Bilbao ansässig ist und sich auf Architekturführungen spezialisiert hat, im geschichtsträchtigen Café Iruña, mitten im Zentrum von Bilbao. Nitsch, der zu Beginn als Vollzeit-Architekt in Bilbao tätig war, bietet seit 2006 parallel dazu seine spezialisierten Touren in Stadt und Umgebung an, für die er sich unaufhörlich über die regionalen Entwicklungen auf dem Laufenden hält. Bis zu 100 Halbtagestouren führt er pro Jahr durch und zählt neben Landschafts- und Städteplanern vor allem Architekten und Ingenieure zu seinen Kunden.
Auf dem Weg zu unserem Treffen durchqueren wir die wuselnde Stadt mit ihren schönen Bauten unterschiedlichster Stile und Epochen, die sich trotz allem harmonisch zusammenfügen. Und man spürt, dass hier trotz der „nur“ 370.000 Einwohner Auftrieb herrscht, dass Dinge angepackt werden, Neues entsteht. Es herrscht ein anderes Klima als in Madrid, Sevilla oder Valencia. Wortwörtlich – aber auch im übertragenen Sinne.
„Für mich sind die Basken Mitteleuropäer, ganz klar“, bestätigt auch Bernd Nitsch unser Feeling. Es herrsche eine andere Mentalität als die, die man für gewöhnlich mit Südeuropa in Verbindung bringt. „So wie ich sie hier kennengelernt habe, sind die Basken sehr ergebnisorientiert, verlässlich, man hält Termine ein, es wird gemacht und wahnsinnig viel produziert.“
Womit wir auch schon voll beim Thema wären. Die einheimische Mentalität spielt sicher eine wesentliche Rolle dabei, inwieweit Neues gemeinsam vorangetrieben wird und eine innovative Stadtentwicklung erfolgreich sein kann.
Im Falle Bilbaos sei es laut Nitsch aber noch ein bestimmtes Schlüsselereignis gewesen, das Bilbaos Wandlung so massiv mit vorangebracht habe: die Flutkatastrophe aus dem Jahr 1983. „Es war nicht das alleinige Element. Bilbao war auch davor ein sozialer Hotspot und der Wirtschaft ging es extrem schlecht“, erklärt der gebürtige Franke. Doch das habe das Fass zum Überlaufen gebracht – und anschließend einen Prozess im Gang gesetzt, der stadtentwicklungstechnisch weltweit gesehen sicherlich seinesgleichen sucht.
Durch die desaströse Lage Bilbaos in den 80er Jahren (neben Armut, Arbeitslosigkeit und Umweltverschmutzung wurde die Stadt nach der Flut zusätzlich zum Katastrophengebiet erklärt) haben sich „kluge und intelligente Köpfe zusammengefunden“, wie Nitsch erklärt. Gemeinsam habe man konstatiert: „‚Wenn wir da rauskommen wollen, bringt es nichts, wenn wir kleine Schritte machen, wenn jeder sein eigenes Ding macht.‘“
Man erkannte die absolute Notwendigkeit, sich zusammenzufinden, sich zu koordinieren und gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Auf diese Weise entwickelte die Bilbao Metropolitan Area mit ihren insgesamt 30 Kommunen und mehr als eine Million Einwohnern einen „extrem weit aufgespannten Masterplan“, wie es Bernd Nitsch formuliert. Einen Masterplan, der „alle Felder abdeckt, visionär gut überlegt ist, alles anspricht und keine Tabus kennt. Ein Konzept, an dem die Beteiligten, allen voran die verschiedenen öffentlichen Instanzen und Entscheidungsträger, zusammenarbeiten“ – das sei die Erfolgsformel gewesen, erfahren wir von dem Architekturexperten, der Mitglied im Netzwerk Guiding Architects ist.
Ganz konkret hieß das für Bilbao: Investitionen in Bildung, der Ausbau der Universitätslandschaft sowie der Bau einer neuen Metro wurden angestoßen. Diese U-Bahn schloss ganze Stadtviertel an die Stadt an. Stararchitekt Norman Foster hat damit einen ganz neuer Typus entworfen, der zum Exportschlager in der ganzen Welt werden sollte.
Aber auch eine kostspielige Flusssanierung und ein neuer Stadthafen waren laut Nitsch wichtige Teile des Stadtentwicklungskonzepts. All das sei nach Nitschs Meinung viel wichtiger für den Erfolg der Stadt gewesen als das Guggenheim Museum, das auf seinen 11.000 m2 Ausstellungsfläche zeitgenössische Kunst zeigt.
Der Erfolg von Bilbao ist nicht wegen dem Guggenheim, sondern mit dem Guggenheim passiert.
Bernd Nitsch
Natürlich sei das Guggenheim Museum – das Gebäude und die Idee dahinter – eine absolute Erfolgsstory, bestätigt auch Nitsch. Es sei jedoch ein Teil des Masterplans gewesen und muss im Zusammenhang betrachtet werden. Und da war das 1997 fertiggestellte Museum mit der hochwertigen Titanverkleidung eben vor allem für eine neue Identitätsbildung und ein ganz neues Image Bilbaos wichtig: Die „Stadt mit dem Guggenheim“. Weil dies mit Bravour gelungen ist, wird oft nicht weiter hinterfragt oder hinter die Fassade geschaut.
„Meine Mission ist es, den Bilbao-Effekt klarzustellen“, sagt uns Bernd Nitsch und schiebt eine Postkarte aus seiner Arbeitsmappe zu uns herüber. Darauf zu sehen ist ein schwimmender Eisberg, dessen Spitze in Form des Guggenheim Museums aus dem Wasser ragt. Der deutlich größere Teil des Eisbergs liegt unter der Wasseroberfläche verborgen.
Meine Mission ist es, den Bilbao-Effekt klarzustellen.
Bernd Nitsch
„Ich habe in meinen Führungen oft Leute dabei, die viel gelesen haben über Bilbao und das Guggenheim und dann total enttäuscht sind, wenn ich ihnen ihre Illusion raube, dass das Guggenheim der alleinige „Glücksbringer“ für Bilbao gewesen wäre“, berichtet der Wahlspanier.
Es sei aber ein großes Missverständnis über Bilbao und sein bekanntestes Bauwerk, das mit ca. 85 Millionen Euro Baukosten zu Buche schlug. „Die vereinfachte Formel, eine Stadt mit den Problemen Bilbaos braucht ein so spektakuläres Gebäude wie das Guggenheim Museum und hat dann Erfolg, geht nicht auf“, erklärt der Architektur-Kenner.
Es gebe entsprechend auch viele Negativbeispiele von Nachahmern in aller Welt, die genau diese vereinfachte Formel anwenden – und damit unglaubliche Mengen an Geld verpulvern würden. An dieser Stelle nennt er zum Beispiel die „Stadt der Kultur“ in Santiago de Compostela, ein Projekt bestehend aus mehreren Kulturgebäuden, welches weit zurückbleibt hinter den damit verknüpften Hoffnungen und Erwartungen.
Es brauche eben die richtige Formel: Einen breit aufgestellten Masterplan, der im Falle Bilbaos in seiner Gesamtheit erfolgreich umgesetzt wurde und die Stadt in eine neue Ära katapultiert hat. „Und Bilbao ist noch lange nicht fertig“, fügt Nitsch hinzu. Die Raumnutzungspläne der Provinz Bizkaia, dessen Hauptstadt Bilbao ist, sehen momentan noch die Entwicklungsachse vom Stadtzentrum bis zum Meer vor. Diese Öffnung wird laut Bernd Nitsch noch Jahrzehnte dauern. Es bleibt also Bewegung in der baskischen Stadt, die ihre Vorreiterrolle so schnell nicht abgeben wird – und die es auch jenseits von Guggenheim einmal genauer zu entdecken lohnt.
Wir danken Bernd Nitsch für das spannende Gespräch!
Geführt von: Marit Albrecht
Bilder: © Bricks Don’t Lie, Marit Albrecht
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