06-2022
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Home sweet smart home — oder doch nicht?

„Ein Haus, das mitdenkt“, so könnte man ein Smarthome ohne Verwendung von Anglizismen am treffendsten bezeichnen. Im Gegensatz zur Smartwatch oder dem Smartphone gibt es für ein Smarthome jedoch keine klare Definition. Eine vernetzte Alarmanlage und eine Alexa-Box reichen für diese Bezeichnung sicherlich noch nicht aus, auch wenn sie sehr gebräuchliche Anwendungen sind. Außer Sicherheitstechnik und Unterhaltungselektronik gibt es natürlich noch weitaus „smartere“ Helferlein, die den Alltag erleichtern können. Dies reicht vom Saugroboter über ein Energiemanagementsystem bis hin zum Kühlschrank, der automatisch seine Bestände prüft und selbstständig Bestellungen auslöst. Dies alles klingt verlockend, schließlich verbringt man schon die meiste Zeit des Tages mit Arbeit, also warum auch noch zuhause arbeiten, wenn man arbeiten lassen kann? Also sollte ein Smarthome doch wohl eine uneingeschränkte Empfehlung sein, oder?

Heim-Automatisierungs-App mit verschiedenen Steuermöglichkeiten.
Bild: Shutterstock

Mein Haus, mein bester Freund

Düsseldorf im Jahr 2023 an einem schönen Januartag. Herbert Sonnenschein steuert seine mausgraue E-Limousine in die Einfahrt seines geschmackvoll gestalteten Vorgartens. Ein Rasenroboter dreht fleißig seine Runden und sorgt dafür, dass alles Grüne auf exakt fünf Millimeter Höhe getrimmt ist. Herr Sonnenschein steigt aus seinem Fahrzeug und schließt es an die Ladestation an. In den Gehweg eingearbeitete Sensoren erkennen sofort sein Gangbild und die Haustüre öffnet sich automatisch. „Treten Sie ein, mein erlauchter Gebieter“, begrüßt das Haus seinen Besitzer. „Sie sehen wie immer sehr gut aus, aber meine Geruchssensoren erkennen einen leicht säuerlichen Schweißgeruch. Mit Ihrem Einverständnis würde ich das Badewasser einlassen und einen entspannenden Badezusatz hinzufügen. Ich habe die Expresskühlung der Bierzapfanlage aktiviert, bis Sie badefertig sind, hat Ihr Gerstensaft die bevorzugte Trinktemperatur.“

Immer mehr Deutsche benutzen mittlerweile Smarthome-Technologie.
Bild: Unsplash

Gerührt über so viel Fürsorge steigt Herr Sonnenschein in seine (bereits vorgewärmten) Pantoffeln. In den Wänden installierte Infrarotheizungen haben die gefühlte Raumtemperatur inzwischen auf angenehme 23 Grad angehoben. Über einen Sprachbefehl lässt sich Herr Sonnenschein vortragen, was seine Haushaltshelfer zu berichten haben. Waschmaschine und Trockner melden den Vollzug ihrer Reinigungsaufträge. Der Kühlschrank legt seinen aktuell Füll- und Bestellstatus offen. Die Alarmanlage liefert den schlagkräftigen Beweis, dass der Sohn der Nachbarn erneut einen Apfel vom Baum der Sonnenscheins gestohlen hat (man sieht sich vor Gericht). Nur die Spülmaschine beichtet den Bruch einer Suppenterrine. Bis auf Letzteres ein Tag ohne Katastrophen. Entspannt begibt sich Herr Sonnenschein ins Bad. Ein zweimaliges Händeklatschen und schon ertönen die ersten Klänge von Tschaikowskys Schwanensee. Entspannt lässt sich der stolze Hausbesitzer ins wohlig warme Wasser gleiten. Das Leben könnte nicht schöner sein…

Die Geister, die ich rief

Buxtehude im August des Jahres 2024. Martina Gewitterwolke, erfolgreiche Managerin einer Werbeagentur, hat einen langen Arbeitstag hinter sich und ist froh, endlich zuhause angekommen zu sein. Wie üblich meldet eine App Martinas Ankunft und das Garagentor öffnet sich bereitwillig. Doch der entspannte Feierabend beginnt anders als erwartet. Just in dem Augenblick, als Martina mit ihrem schnittigen Cabrio aus Zuffenhausen in die Garage einfährt, rasselt das Rolltor unerwartet nach unten und kracht mit einem lauten Knall auf die Motorhaube. Diese reagiert mit entsprechenden Eindellungen und Kratzern. Martina kann es nicht fassen. 40.000 Euro hat sie in eine hochmoderne Garage mit Bodenheizung (damit die Reifen früh warm sind) und Schminktisch investiert und nun das. Nichts geht mehr. Das Rolltor bleibt in seiner Position und klemmt das Auto ein. „Nun gut, dann nehme ich morgen den SUV, wozu habe ich denn den Zweitwagen?“, denkt sich Martina. Aber ein Glas Wein hat sie sich auf den Schreck verdient. Mal sehen, was der smarte Kühlschrank für sie geordert hat. 

Beleuchtung, Rollläden, Garagentor — dies alles lässt sich remote und smart steuern.
Bild: Unsplash

Als Martina ihr Haus betritt und die Einkäufe durchgeht, bekommt sie den nächsten Schreianfall. Sie hatte vor vier Tagen via Sprachsteuerung „guten Wein“ in Auftrag gegeben. Aber damit hatte sie doch keine drei Flaschen 1995er Chateau Petrus für insgesamt 16.500 Euro (vom Umtausch ausgeschlossen) gemeint! Auch die Steuerung des Katzenklos scheint einen technischen Defekt zu haben. Kater Bello scheint dies nicht gestört zu haben, denn wie sie sieht und riechen kann, hat er seine Geschäfte woanders verrichtet. Martina lässt sich erschöpft auf ihr Sofa sinken. „Spotify, spiel‘ mir das neueste Album von Lenny Kravitz“, so ihr Kommando. Aber anstatt der erwarteten Musik hört sie ein andere, ihr jedoch nur allzu vertraute Stimme: „Hallo Schätzchen, hier ist dein Ex. Danke, dass du mich bei der Scheidung vor Gericht so über den Tisch gezogen hast. Aber was soll´s, ich zahle gerne für dein schönes, neues Haus. Das Tolle daran ist, dass man es mit ein paar Kniffen auch von der Ferne aus steuern kann. Soll ich es dir beweisen?“. Wenige Sekunden später meldet die Haussteuerung die Verriegelung aller Türen und Fenster und das Heraufregeln der Raumtemperatur auf 45 Grad…

Smarte Temperaturregulierung.
Bild: Pixabay

Entlastung oder Abhängigkeit

In welchem Maße sich ein Smarthome gegen seine Bewohner wenden kann, zeigt der 2021 gedrehte deutsche Film „Das Haus“, in dem so ziemlich jedes Schreckensszenario thematisiert wird. Auch Stanley Kubricks Kultfilm „2001: Odyssee im Weltraum“ zeigt – wenn auch in einer anderen Form – was passiert, wenn sich eine künstliche Intelligenz selbstständig macht. Aber zurück zur Realität. Größere technische Ausfälle und fiese Hackerangriffe sind sicherlich Ausnahmefälle, aber wie die Erfahrung zeigt, ist (Mikro)-Elektronik stets anfälliger als Mechanik. Zudem bedarf es bei Störungen immer eines gutbezahlten Experten. Der eigene Werkzeugkasten hilft einem nicht weiter, wenn ein Sensor fehlerhaft reagiert oder ein Mikrochip sein Leben aushaucht. Dies muss man einkalkulieren, wenn man sich von einer Technik abhängig macht, die man weder im Detail versteht, noch aktiv beherrscht. 

Smart Lock-System für schlüsselfreies Ver- und Entriegeln.
Bild: Sebastian Scholz, Unsplash

Wir leben in einem Zeitalter der Bequemlichkeit und sind es immer mehr gewohnt, uns „bedienen“ zu lassen. Ein Smarthome reiht sich mühelos in diese Lebensweise ein und daran ist per se auch nichts Verkehrtes. Alarmanlagen sorgen für Sicherheit, intelligente Heizungssysteme können Energie sparen und auch Saugroboter können ein Segen sein. Aber ab einem gewissen Punkt sollte man sich überlegen, was wirklich das Leben erleichtert und was nur protzige Spielerei ist. 


Text: Stefan Mothes 

Titelbild: Shutterstock