08-2024
08-2024

Frauen bauen — Kolumne von TOMAS: Transformation of Material and Space

„Wir werden dich reichlich mit Baustoff versehen, der fester und haltbarer ist als Marmor und Mörtel zusammen. Deshalb wird deine Stadt von einzigartiger Schönheit und immerwahrendem Bestand auf dieser Welt sein.“ [1]

Diesen Satz schreibt die französische Philosophin und Schriftstellerin Christine de Pizan in ihr 1405 veröffentlichtes Buch „Das Buch von der Stadt der Frauen“. Christine de Pizan entwirft in ihrem Buch die Utopie einer Gesellschaft, in der Frauen gleiche Rechte haben wie Männer und sich selbst eine Stadt errichten. Verstehen wir darin nicht nur die Befähigung von Frauen im Handwerk, sondern auch ihre Mitgestaltung unserer Umwelt und die besondere Wertschätzung des Handwerkes.

Stereotype Sichtweisen

Schwere körperliche und teilweise auch gefährliche Arbeit verbinden viele immer noch mit Männern. So ist es kaum verwunderlich, dass das Bauhandwerk in unseren Köpfen größtenteils als Männerdomäne gilt. Und ja, die Arbeit und die Infrastruktur ist fast ausschließlich auf die Bedürfnisse von Männern zugeschnitten. Vorurteile und Klischees sind immer noch präsent. So bleiben Frauen in sogenannten männertypischen Handwerksberufen weiterhin unterrepräsentiert. Schauen wir in die Geschichte, so finden wir Hinweise darüber, dass Frauen schon zu früheren Zeiten als Handwerkerinnen am Bau beteiligt waren. Das Wirken von Frauen in der Bauwirtschaft wird wahrscheinlich sogar größer gewesen sein, wie aus historischen Dokumenten zu entnehmen ist, da dort nur männliche Berufsbezeichnungen zu finden sind und ungelernte Handwerkerinnen namentlich nicht erwähnt werden. [2]

Verstaubtes Image und Instagram

Heute liegt der Frauenanteil unter den Auszubildenden im deutschen Handwerk bei 14,1% (2023). [3] Bundesweit fehlen über 250.000 Handwerker*innen. [4] Die Tendenz ist weiter steigend. Insbesondere fehlt es an jungen Fachkräften. Dies beeinträchtigt sowohl private Bauvorhaben als auch die Bau- und Sanierungsprojekte von Städten und Gemeinden, was zu Verzögerungen und höheren Kosten führt. In Bezug auf den Fachkräftemangel könnte ein größerer Frauenanteil eine Lösung sein. Marleen Solle gehört zu den Handwerkerinnen, die daran etwas ändern wollen. Sie ist Dachdeckerin im familieneigenen Dachdeckerbetrieb. Auf Instagram gewährt sie Einblicke in ihre Arbeitsrealität und versucht, mit dem verstaubten Image der Branche aufzuräumen.

Inspirierende Vorreiterinnen

Je tiefer uns die Recherche bringt, desto mehr sehen wir, wie viele Frauen sich in der Bauhandwerksbranche behaupten. Sie sind besonders über Social Media sichtbar und setzen sich aktiv für ein besseres Image von Frauen im Bauhandwerk ein. Wir können dabei sehr unterschiedliche Wege erkennen, wie Frauen ins Handwerk kommen. Dies kann durch eine klassische Ausbildung in einem Handwerksberuf, wie bei Marleen Solle, erfolgen oder durch die individuelle Weiterentwicklung, beispielweise nach einem Studium. Dies ist der Fall bei Lisa Templiner, die sich nach ihrem Architekturstudium auf die Suche gemacht hat, um etwas zu finden, dass sie antreibt, ihr Spaß macht und sie finanziell versorgt. Heute gehört sie zum Gründungsteam der zirkulären Tischlerei Studio Tegel und hat dort die Werkstattleitung inne. [5] Für andere ist es die perfekte Symbiose aus Theorie und Praxis. Die Wege sind vielfältig und so auch die Handwerksbereiche, in denen sich Frauen finden. Die Architektin Susanne Raulf, die seit über 20 Jahren die Architekturbranche mit ihrer Expertise im nachhaltigen Bauen prägt, hat im Jahr 2024 ihren eigenen Lehmbaufachbetrieb Clay Concepts gegründet. Diese Erfolgsgeschichten sollten uns ermutigen, weiter daran zu arbeiten, das Bauhandwerk für alle zugänglich und attraktiv zu gestalten. Denn letztlich profitieren wir alle von einer vielfältigen und inklusiven Arbeitswelt.

Förderung und Forderung

Um den Einstieg von Frauen ins Bauhandwerk zu fördern, sind verschiedene Maßnahmen notwendig. Dazu gehört die gezielte Ansprache junger Frauen während der Berufsorientierung, die Schaffung von Vorbildern sowie die Unterstützung durch Netzwerke und Mentoring-Programme. Auch müssen Arbeitsbedingungen weiter verbessert werden, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu gewährleisten. 

Folgende Initiativen, Vereine und Unternehmen engagieren sich für Frauen im Handwerk:

UFH Bundesverband UnternehmerFrauen im Handwerk e. V.

ZDH Zentralverband des Deutschen Handwerks e. V.

zunftschwestern

tischlerinnen.de

BAUFACHFRAU Berlin e. V.

DIE WERKSTATT – Handwerk für Frauen und Mädchen e. V.

Carla Enchelmaier, gelernte Tischlerin, ist der Meinung, dass es eine strukturelle Veränderung braucht, die nicht nur von Frauen vorangetrieben werden sollte. Damit einhergehend ergeben sich für sie folgende Fragestellungen: Wie wollen wir arbeiten? Braucht es neue Herangehensweisen? Braucht es andere Betriebsstrukturen? 

Sicher ist, dass Frauen im Bauhandwerk eine Bereicherung darstellen. Die zunehmende Vielfalt und die Einbindung von Frauen in handwerkliche Berufe sind wichtige Schritte auf dem Weg zu einer gleichberechtigten und zukunftsfähigen Arbeitswelt. Ein wesentlicher Schritt dabei ist auch die Wertschätzung des Handwerkes und das Einbeziehen der Handwerker*innen in den Bau- und Planungsprozess.


[1] Christine de Pizan: Das Buch von der Stadt der Frauen. Herausgegeben von Margarete Zimmermann. 2024. S.43.

[2] Siehe Wolfgang Schöller: Frauenarbeit in der mittelalterlichen Bauwirtschaft. Archiv für Kulturgeschichte. 1994. S. 305–320.

[3] https://www.zdh.de/daten-und-fakten/kennzahlen-des-handwerks/frauen-des-handwerks/#:~:text=Insgesamt%20liegt%20der%20Frauenanteil%20unter,bei%20Auszubildenden%20in%20kreativen%20Handwerksberufen.

[4] https://www.zdh.de/presse/veroeffentlichungen/interviews-und-statements/fachkraeftesicherung-ist-gesamtgesellschaftliche-aufgabe/

[5] https://www.baunetz-campus.de/podcast/architektin-im-handwerk-ressourcen-neu-denken-8641775


Dieser Text ist Teil einer wiederkehrenden Kolumne von TOMAS Transformation of Material and Space. TOMAS setzt sich für die Bauwende ein und bezeichnet sich selbst als „sozialverträgliche Architekturunternehmung”. Dahinter stehen Sofia Ceylan, Architektin und Nachhaltigkeitsmanagerin, Dr.-Ing. Katharina Neubauer, Architektin, Dozentin und Expertin für Datenzentren und Annabelle von Reutern, Architektin, Speakerin und Expertin für Zirkuläres Bauen.

Text: Dr.-Ing. Katharina Neubauer

Titelfoto: Jörg Stanzick @lichtartfoto