Schon einmal von Umkehrdach gehört? Als nachhaltige Alternative für Flachdächer erobert es deutsche Gebäude. Was genau sich dahinter (darunter) verbirgt – wir haben uns die Dachform genauer angeschaut.
Der plötzliche Förderstopp der KfW EH-55 Neubauförderung sorgte bei vielen Bauherren für großen Ärger. Sie hatten die Förderung in ihre Baubudgets eingerechnet. Ein Großteil von ihnen stand zu Beginn des Jahres mit einem klaffenden Finanzloch im Budget da. Das Wirtschaftsministerium lenkte nach deutlicher Kritik ein und entschärfte die Situation. Wir berichteten darüber in einem vergangenen Beitrag. Viele Akteure im Bausektor fragen sich nun, wie es mit der Förderpolitik des Bundes weitergeht.
Wir haben dazu mit dem Bundestagsabgeordneten Kassem Taher Saleh gesprochen. Der 28-Jährige hat eine steile Karriere hingelegt. Geboren im Irak und aufgewachsen im sächsischen Plauen engagierte er sich früh für seine Mitmenschen, trat später bei den „Bündnis 90 / Die Grünen“ ein und landete nicht aus Zufall im Bundestag. Neben der Politik ist der Bau seine Profession. Der diplomierte Bauingenieur sitzt als Obmann für seine Partei im Bauausschuss des Bundestags und ist dort maßgeblich an der Gestaltung des neuen Förderrahmens beteiligt.
Bricks: Herr Taher Saleh, wir möchten mit Ihnen über ein Thema sprechen, das zu Turbulenzen in der jungen Regierung geführt hat: die abrupte Einstellung der KFW EH-55-Förderung. Im Nachhinein betrachtet: War es aus Ihrer Sicht trotz teils vehementer Kritik die richtige Entscheidung, die Förderung zu beenden?
Kassem Taher Saleh: Zuerst mal ‚Hallo‘ und danke für Gesprächseinladung. Ich bin Kassem, wir können uns gern ‚duzen‘. Es war richtig die Förderung zu beenden, weil ‚EH-55‘ sich in der Baubranche einfach so hart etabliert hat, dass es schon Standard war. Das heißt, die ganzen Prozesse, die ganzen planerischen Aspekte, alles was dahintersteckt, war bereits Standard im Gebäudesektor.
Ich muss doch nicht als Bund Steuermittel ausgeben für etwas, was industriell und wirtschaftlich gesehen so oder so schon Standard ist. Dementsprechend war das eine Goldgrube, vorwiegend für große Investoren und Investorinnen.
Bricks: Aber hätte man das nicht besser lösen können?
KTS: Insbesondere im Januar wurden extrem viele Anträge gestellt. Dann wurde klar, dass die Gelder bereits vor Monatsende und dem eigentlichen Auslaufen der Förderung mehr als ausgeschöpft sind. Der dann ausgerufene Förderstopp war unumgänglich.
Die alte Bundesregierung hätte den Andrang auf die Fördermittel kurz vor Auslaufen der Förderung antizipieren und einplanen müssen. Eine schnellere Lösung von der neuen Bundesregierung gerade in Bezug auf die Neubauförderung wäre wünschenswert gewesen, aber gute Lösungen brauchen einfach Zeit.
Fakt ist aber auch: Wir haben die KfW-Förderung für energetische Gebäudesanierung innerhalb der BEG (Bundesförderung für effiziente Gebäude, Anm. d. Red.) ab Mitte Februar weiterlaufen lassen. Der Haushaltsausschuss hat zuvor über 9,6 Milliarden Euro klargemacht, für die BEG im Jahr 2022.
Mitte März wurde klar: Der finanzielle Tropf neigt sich erneut dem Ende zu, wir müssen wieder nachjustieren. Und da gab es weitere 4,76 Milliarden Euro für die Jahre 2022 und 2023, die auch wiederum im Haushaltsausschuss beschlossen wurden. Das sind enorme Summen, die dieses Jahr bereits in die BEG geflossen sind.
Bricks: Wie geht es jetzt weiter?
KTS: Aus Perspektive der Ökologie und Energieeffizienz müssen wir dazu kommen, dass wir vor allem die Gebäudesanierung voranbringen – und weniger den Neubau. Es geht um Flächenverbrauch, es geht da um graue Energie, die verbraucht wird, um Ressourcenverschwendung, es geht um Eingriffe in die Natur.
Ich meine damit, dass man für Neubauten mehr Beton, mehr Kies, mehr Rohstoffe benötigt. Und das muss ich alles auch irgendwo herholen. Das heißt, der Fokus muss jetzt mehr auf die Sanierung gehen und weniger auf den Neubau.
Aus Perspektive der Ökologie und Energieeffizienz müssen wir vor allem die Gebäudesanierung voranbringen – und weniger den Neubau.
Kassem Taher Saleh
Bricks: Was bedeutet das konkret?
KTS: Das bedeutet, wenn man so einen neuen Fokus setzt, hat man dafür als Entscheidungsträger zwei Hauptwerkzeuge. Das eine sind Gesetze und das andere Förderprogramme und Förderrichtlinien. Wenn man etwas fördert, was zum Standard geworden ist, dann muss man das in ein Gesetz gießen. Wenn es gesetzlich gesehen festgeschrieben ist, gibt es natürlich keine Förderung mehr. Und das war der Hintergedanke, warum die EH-55 Förderung beendet wurde.
Ab dem 20. April läuft die EH-40 Neubau-Förderung wieder mit geänderten Konditionen an. Diese Förderung ist aber gedeckelt auf eine Milliarde Euro. Sobald dieses Geld aufgebraucht ist geht es nahtlos mit einer EH-40 Förderung bis zum Jahresende weiter, die ein Qualitätssiegel für Nachhaltiges Bauen als zusätzliche Förderbedingung voraussetzt. Ab 2023 gibt es dann ein neues Neubau-Förderprogramm mit dem Titel „Klimafreundliches Bauen“.
Bricks: In Deutschland gibt es eine breitgefächerte und komplizierte Förderkulisse, mit weit mehr als 120 Förderungen im Bau- und Gebäudesektor aufgeteilt auf Bund und Länder. Selbst für Berater und Baufirmen ist es schwierig, die richtige Förderung bzw. Berechnungsgrundlage zur Beantragung zu finden. Kann man das lösen? Oder anders gefragt: Wie können Förderungen entschlackt werden?
KTS: Ich glaube, man sollte nicht die Frage stellen, ob man das lösen kann. Sondern man muss eher anders herangehen: Man muss es lösen. Das Problem ist eher die Größe der Aufgabe. Wir haben verschiedene Lösungsansätze auch in unseren Koalitionsvertrag geschrieben. Zum Beispiel den Punkt der Digitalisierung. Wir wollen auch unsere Sprache einfacher gestalten, zugänglicher formulieren, aber besonders auch digitalisieren, damit wir schneller die Förderprogramme ins Laufen bringen.
Fakt ist aber, es braucht ein gewisses Monitoring der Fördermittel, damit es nicht nochmal zum Förderstopp kommen kann. Damit man auch besser planen kann, langfristig gesehen.
Das heißt zusammengefasst, wir brauchen eine einfachere Sprache, wir müssen digitalisieren, dann sehen wir auch, was wir genau brauchen. Wir müssen die Förderungen einfacher gestalten und besseres Monitoring durchführen.
Aber es bedeutet auch, bessere Beratungskompetenzen oder -zentren zu schaffen – nicht nur für die Privatmenschen, sondern auch für die Kommunen. Die sind so oder so schon personell gesehen schwach aufgestellt. Die haben überhaupt keine Kapazitäten, um eine Person zu beauftragen, nach dem Motto: Verschaff dir mal einen Überblick, was wir überhaupt für Förderprogramme haben und beantrage dann auch die Richtigen. Viel Spaß damit.
Wir brauchen eine einfachere Sprache, wir müssen digitalisieren und wir müssen die Förderungen einfacher gestalten.
Kassem Taher Saleh
Bricks: Das ist ein riesiges Projekt, oder?
KTS: Total. Es ist ein riesiges Projekt, aber nicht nur für die Institutionen, sondern auch für normale Bürgerinnen und Bürger. Wir wollen ja auch, dass genau die Förderungen bei den Leuten vor Ort ankommen, die nicht über ein überdurchschnittliches Einkommen verfügen.
Weil die Klimakrise zuerst die Menschen trifft, die es sich am wenigsten leisten können. Ich gebe mal ein Beispiel. Wenn ich Geld habe und sogar reich bin, dann habe ich im Normalfall ein großes Haus und mehrere Autos. Ein großes Haus bedeutet, ich verbrauche in der Regel mehr Wohnfläche, bewege mich viel mit meinen Autos, reise viel und verbrauche dementsprechend extrem viel CO2. Ein Mensch, der so und so schon wenig hat, wohnt in der Regel in einer kleineren Wohnung, kann vielleicht nicht so oft verreisen, hat vielleicht nicht so viele Autos und ist trotzdem zuerst von den Auswirkungen zum Beispiel durch Preissteigerungen betroffen.
Deshalb muss Klimaschutz immer mit dem sozialen Aspekt gemeinsam bedacht werden. Es ist keine Frage des ‚entweder oder‘, sondern es ist ein ‚und‘. Von daher sollten wir nicht nur unsere politische Sprache, sondern auch unsere Verwaltungssprache vereinfachen.
Die Klimakrise trifft zuerst die Menschen, die es sich am wenigsten leisten können.
Bricks: Das komplizierte „Beamtendeutsch“ können ja auch viele Muttersprachler kaum verstehen.
KTS: Um aber mal den anderen Blick zu geben: Es wird immer damit argumentiert, alles ganz rechtssicher zu gestalten, damit niemand verklagt wird. Klar, keine Frage. Aber eine andere Priorität muss auch sein, Gesetze, Förderprogramme und so weiter so auszugestalten, dass sie von möglichst vielen Menschen verstanden werden.
Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Und ich hasse das Argument, was dann oft im Baubereich kommt: Das haben wir schon immer so gemacht, das machen wir auch weiter so…bleib doch mal ruhig. Aber es funktioniert so eben einfach nicht.
Bricks: Lass uns raten, durch dieses sture Beibehalten entsteht dann halt so ein Berg an undurchschaubaren Fördermaßnahmen. Wenn du dir etwas wünschen könntest, wie sollte so eine Förderung aussehen, die den Fokus auf Sanierung setzt und weniger auf Neubau? Wenn es quasi dein Wunschkonzert wäre, welche Stücke sollten für eine CO2-neutrale Förderung dabei sein?
KTS: Das Stichwort ist hier Regionalität. Es geht mir darum, Förderungen besonders auf regionale Baustoffe zurückzuführen. Dazu kommt die Verwendung von ökologischen Baumaterialien. Das gilt gleichermaßen für die Dämmmaterialien in der Sanierung als auch für sonstige Baummaterialien im Neubau. Hier rede ich besonders auch von recycelten Baumaterialien.
Meine Diplomarbeit habe ich über bioabbaubare und biobasierte Kunststoffe im Bausektor geschrieben. In der Verpackungsindustrie funktioniert das. In der Automobilindustrie funktioniert das. Warum sollte es nicht auch in der Bauindustrie funktionieren, dass wir Kunststoffe verwenden, die nicht auf Erdöl basieren, sondern die auf eine biologische Art und Weise – wie aus Zucker, Stroh und so weiter – hergestellt werden?
Es geht mir darum, Förderungen besonders auf regionale Baustoffe zurückzuführen.
Kassem Taher Saleh
Bricks: Zu unserem Verständnis: Du meinst also, dass die Verwendung solcher Baustoffe in die Förderbedingungen hineingehören?
KTS: Genau. Und um eben auch die Digitalisierung beim Bauen voranzutreiben, könnte man bei der Neubauförderung das ‚Building Information Modeling‘ (kurz: BIM) auch voraussetzen, oder einen Bonus dafür dazugeben.
Wenn Leute also beispielsweise auf Basis vom BIM bauen, bekommen Sie einen Bonus für die Verwendung. Ein großes Problem bei der Sanierung sind die Daten, die ich nicht habe. Ich habe meistens keine offiziellen Daten, was und in welcher Menge in dem Gebäude verbaut wurde. Wenn ich diese Daten aber hätte, könnte ich viel effektiver planen und das Gebäude zukünftig sanieren.
Daher stammt auch der Punkt des Gebäude-Ressourcenpasses, den wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Wenn ich diese Daten bereits im BIM habe, dann kann ich auch viel leichter den Gebäude-Ressourcenpass auf den Weg bringen.
Und ein Punkt kommt hier dazu: Wir fassen in den nächsten Jahren sehr viel des Gebäudebestandes an. Das bedeutet, im Zuge der Förderung für Komplettsanierung könnte man Anreize für die Erstellung eines Gebäude-Ressourcenpasses schaffen.
Ich sage also den Leuten: Wenn ihr also schon saniert, im Gebäude seid und euch damit auseinandersetzt, dann digitalisiert das doch alles und erstellt somit eine DNA des Gebäudes, die dann digital verfügbar ist.
Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Ich hasse das Argument ‚das haben wir schon immer so gemacht…‘
Kassem Taher Saleh
Bricks: Gibt es weitere Punkte, die mehr Beachtung finden sollten, abgesehen von den Baustoffen und der Digitalisierung?
KTS: Ja, es gibt noch den Punkt der Gebäudebegrünung. Das macht nicht nur unsere Städte schöner, sondern sorgt auch dafür, dass die Städte besonders in der Hitzezeit gekühlt werden. Ein weiterer Vorteil: Das Lebensalter der Baustoffe verlängert sich. Begrünung schütz vor Regen, Schnee, Sonne und Wind und somit verlängert sich auch die Lebenszeit des Gebäudes. Das wiederum senkt den Verbrauch von Ressourcen und schmälert den Eingriff in die Umwelt. Das ist also eine Kette.
Ein weiterer Punkt ist der Einsatz von Erneuerbaren Energien. Das geht mit der Energieeffizienz von Gebäuden Hand in Hand. Wärmepumpen sind dabei eine Schlüsseltechnologie. Oder dass ich also Solarzellen auf dem Dach oder den Fassaden installiere. Technisch gesehen gibt es so viele Möglichkeiten. Es gibt inzwischen Photovoltaikzellen, die so dünn sind wie Papier. Es geht einfach darum, unabhängiger zu werden und zu versuchen, den eigenen Strom- und Heizbedarf selbst zu decken. Das sind so meine Punkte, die ich einbringen würde, bei so einem Förderprogramm.
Bricks: Es wird ja grad an einer neuen Förderrichtlinie gearbeitet. Geht es denn in diese Richtung?
KTS: Beim Thema Gebäudebegrünung bisher nicht. Aber beim Punkt der Erneuerbaren Energien schon und dass der gesamte Lebenszyklus eines Gebäudes betrachtet werden muss. Das sind die elementaren Punkte und daran wird auch gearbeitet.
Der Punkt der Gebäudebegrünung ist nur noch einmal weitergedacht. Er ist aber in meinem Wunschkonzert enthalten. (lacht)
Bricks: Da hast du ja nun einige Punkte genannt. Es stellt sich an der Stelle die Frage, wer soll sich das denn leisten können? Die Kosten im Bau sind so und so schon immens gestiegen. Kann das eine neue Förderung ausgleichen oder muss es zusätzlich weitere Anreize geben, damit mehr Wohnungen entstehen können?
KTS: Ich verstehe ein Förderprogramm so, dass man als Staat Sachen anstößt, in der Hoffnung, dass diese dann Marktstandard werden. Ich fördere also so viel, wie ich nur kann, damit es Standard wird auf dem Markt. Und dann wird es automatisch auch billiger.
Das ist die Herangehensweise, die ich mit meiner Politik unterstütze. Es geht darum, in Richtung Klimagerechtigkeit zu gehen, ohne den sozialen Aspekt zu vergessen.
Deshalb haben wir jetzt leider auch diese Situation – wir befinden uns in einem Krieg – dass Robert Habeck nach Katar, Saudi-Arabien, usw. reisen muss. Das verstößt eigentlich gegen unsere Bündnis-Grünen-Grundwerte, Deals zu machen mit Menschenrechtsverletzern und autokratischen Staaten. Aber in unserer aktuellen Situation haben wir keine andere Wahl.
Ich verstehe ein Förderprogramm so, dass man als Staat Sachen anstößt, in der Hoffnung, dass diese dann Marktstandard werden.
Kassem Taher Saleh
Wir haben auch ein Entlastungspaket auf den Weg gebracht, wo wir unter anderem die Mineralölsteuer senken werden. Bedeutet, Benzin und Diesel werden billiger. Das ist eigentlich auch nicht die Politik, die wir machen möchten. Aber wir merken, dass eben besonders finanziell schwächer gestellte Menschen, die wenig verdienen, am meisten davon betroffen sind.
Zurück zur Frage. Wir finanzieren die Sachen, die wir für wichtig und elementar halten, damit diese wirtschaftlicher werden. Es geht darum, dass bei den Bauherren ankommt: Wenn ihr saniert oder besonders energieeffizient baut, bekommt ihr finanzielle Unterstützung in Form von einer Förderung. Und wenn ihr euch auf nachhaltige Punkte konzentriert, werdet ihr auch merken, dass es sich am Ende auch lohnt. Das ist die Idee und die Art und Weise, wie wir denken und auch handeln.
Und da haben wir noch nicht mal über den Fachkräftemangel in der Baubranche gesprochen.
Bricks: Ganz andere Baustelle, darüber könnten wir dann sicher nochmal auch ein ganzes Interview führen. Herzlichen Dank für das ausführliche Gespräch und die Zeit, die du dir dafür genommen hast.
KTS: Gerne, es hat mir echt Spaß gemacht.
Das Interview führte Robert Kaltschmidt.
Fotos: Pressearchiv Kassem Taher Saleh
Schon einmal von Umkehrdach gehört? Als nachhaltige Alternative für Flachdächer erobert es deutsche Gebäude. Was genau sich dahinter (darunter) verbirgt – wir haben uns die Dachform genauer angeschaut.
Gibt es sie noch, die kleinen familiären Hinterhofwerkstätten, in denen noch analog gewerkelt, ausgebessert und hergestellt wird? Die Antwort ist ja. Wir haben eine davon aus nächster Nähe in Köln kennengelernt.