…und warum Sozialkompetenz in diesem Beruf manchmal wichtiger ist als das Fachliche selbst.
50 % der weltweit verbrauchten Ressourcen, 40 % der Treibhausgasemissionen, nicht kleinredbare Abfallmengen, eine wöchentliche Flächenversiegelung in der Größe von Paris – all das fällt auf die Bauindustrie zurück, die in der Nachhaltigkeitsdebatte verhältnismäßig wenig Beachtung findet. Nicht so jedoch beim 14. Deutschen Nachhaltigkeitstag, der in Wirklichkeit an zwei vollen Tagen vom zweiten bis dritten Dezember in Düsseldorf stattfand. Hier fand der Bausektor die Aufmerksamkeit, die ihm als „Elefant im Klimaraum“ – mit den Worten von Klimaexperte Hans Joachim Schellnhuber – gebührt.
Neben unterschiedlichen Sprechern aus Forschung, Architektur, Wirtschaft und Politik meldete sich auch der renommierte Klimaforscher Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung zum Thema Bauen zu Wort. Als Gründer der Initiative „Bauhaus der Erde“, die sich für einen tiefgreifenden Wandel in der gesamten gebauten Umwelt einsetzt, sprach sich Schellnhuber für die Orientierung an der Natur und für organische Lösungen aus.
„DER BAUSEKTOR IST DER ELEFANT IM KLIMARAUM.“
Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schellnhuber
„40 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen stammen vom Bausektor. Es wird errichtet, betrieben, abgerissen. Gebäude und Infrastruktur sind der Elefant im Klimaraum. Das wird kaum adressiert“, schildert der 71-jährige Experte anschaulich. „Wir haben fantastische Klimalösungen zur Hand“, sagt er weiter hoffnungsvoll. „Holz, oder aber Bambus in den südlicheren Erdteilen, – wenn man diese anstelle von Stahlbeton, Glas und Aluminium einsetzt, können Emissionen vermieden werden. Die Menschheit wächst immer weiter und wir brauchen zusätzlichen Wohnraum für zwei Milliarden Menschen. Organische Architektur und Holzbau ist dabei eine wunderbare Lösung.“ Auf die Frage hin, wo das ganze Holz dafür herkommen solle, gesteht Schellnhuber ein, dass starker Druck auf den Wäldern laste und es vor allem im globalen Süden – wo Wälder zerstört und Böden degradiert werden – in eine falsche Richtung gehe. Man brauche ein nachhaltiges Bewirtschaftsmodell, verbesserte Handelsabkommen und unter Schutz gestellte Hotspots der Biodiversität. Ein dynamisches Gleichgewicht zu schaffen, das ein Maximum an Holzernte gibt und gleichzeitig schützt, sei sicherlich keine triviale Aufgabe. Laut Schellnhuber jedoch gibt es Berechnungen, die zeigen, dass genau das möglich ist.
Neben der Notwendigkeit, den Einsatz von Baumaterialien neu zu überdenken, müsse man laut Schellnhuber auch in der Gesamtheit das Siedlungswesen neu betrachten. „Viele Menschen werden mehr und mehr marginalisiert, müssen weit pendeln und man mutet ihnen zu, schlecht und in einer hässlichen Umgebung zu wohnen. Schönheit ist ein Elitenprojekt“, prangert er an. Genau dagegen sei das ursprüngliche Bauhaus angetreten. Es brauche eine neue Massenbewegung hin zur Schönheit: Schönheit, die in der Geschichte der Architektur einmal ein Gemeinschaftsprojekt gewesen sei, so wie beim Bau einer Kathedrale zum Beispiel, bei der jeder Bürger einen Stein beitrug. Mit seiner Aussage, dass die Gesellschaft reif sei für die Wende der Nachhaltigkeit schließt Schellnhuber seine Ausführungen ab. „Die Bewegung ist da und sie ist nicht mehr aufzuhalten.“
Um das Thema des gemeinschaftlichen Ansatzes ging es auch in der Keynote von Sven Rickes, Geschäftsführer des Start-ups Imti Enterprises GmbH, das mit einer innovativen Bautechnologie und der Digitalisierung der Bauprozesse bezahlbaren, lebenswerten, schnell gebauten und nachhaltigen Wohnraum schaffen will.
Unter dem Titel „Wohnungsnot bekämpfen, ohne das Klima zu zerstören“ sprach auch Rickes beim Deutschen Nachhaltigkeitstag. Er legte dar, wie langwierig Planungs- und Bauprozesse momentan in der Bauindustrie sind und wie losgelöst voneinander die jeweiligen involvierten Parteien – Planer, Betreiber, Eigentümer, Bewohner – jeweils agierten. All das habe zu dem jetzigen dramatischen Mangel an Wohnraum und den „völlig überteuerten“ Preisen geführt.
Man müsse den Spagat schaffen zwischen der Schaffung von neuem Wohnraum für die wachsende Bevölkerung und der Schonung des Klimas und der Ressourcen.
Laut Rickes würden die Tools und Erkenntnisse, die heute schon vorhanden sind, nicht genutzt werden: die Digitalisierung, Automatisierung und Industrialisierung. In der IT habe es einen Produktivitätszuwachs von 50 % gegeben – in der Bauwirtschaft gerade einmal ein Prozent.
Mit einem von Imti entwickelten Programm, das die Gebäude vorab digital in Gänze „durchdenkt“ und segmentiert, könne man einen digitalen Zwilling eines Gebäudes erstellen, der anschließend in einer ebenfalls digital betriebenen und vollautomatisierten Fabrik aus Holz nachgebaut werden könne. Auch der Bau- und Finanzierungsantrag könne auf dieser Grundlage gestellt werden, da alle Daten vom Programm bereitgestellt werden. Die Bausegmente würden danach über Gleise zur „Pop-Up Factory“, der Baustelle, die keine Baustelle ist, transportiert und montiert werden. „Erst werden die Segmente montiert, danach die Fassade und anschließend das Dach. Pro Geschoss dauert all das eine Woche“, erklärt Rickes. Jedes einzelne Segment ist getaggt und somit mit allen wichtigen Angaben versehen. Auf diese Weise kann es auch mit anderen Modulen kombiniert werden, wofür Imti eigens eine Segmentbibliothek entwickelt hat.
Die Lösungen sind alle da. Wir müssen sie nur sinnvoll zusammenfügen.“
Sven Rickes, Imti Enterprises GmbH
Und mit einer negativen CO2-Bilanz geben die von Imti Enterprises entwickelten Prototypen Hoffnung, dass ein Umschwung im Bausektor möglich ist und der weiter steigende Bedarf an Wohnraum auf nachhaltige Weise gedeckt werden kann. Dafür aber braucht es noch viel mehr Initiativen dieser Art und Veränderungen in großem Stil.
Mit Thomas Fuhr von der Grohe AG und Gerhard Wittfeld von kadawittfeldarchitektur waren zwei weitere Hoffnungsträger vertreten, die sich dafür einsetzen, mehr Nachhaltigkeit in ihre Branche zu bringen. Laut Fuhr könne man schnell Lösungen finden für diese große Problemstellung. Wenn in so einem Mammutfeld Veränderung gelingt, dann können schnell spürbare Fortschritte erreicht werden. Da aber die Komplexität der Prozesse viel größer sei als früher, ginge das nur im Team, so Gerhard Wittfeld. „Es gibt nicht mehr das Genie wie in der Renaissance.“ Das Teilen von Wissen sei heute unabdingbar, Planung und Ausführung müssen Hand in Hand gehen.
Auch müsse man sich neu die Frage stellen: Nutzen wir Material oder verbrauchen wir es? Momentan würde viel zu viel Material verbraucht werden, so Wittfeld. Man müsse aber wiederverwerten nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip. Gewinnung, Einsatz, Montage, Demontage, Wiederverwendung. Ganzheitlich denken und Gebäude als Rohstoffdepots sehen. 2015 habe er sein erstes Haus nach diesem Konzept in Essen gestartet. Damals lag die Recyclingquote bei 25 %. Heute sind die Häuser bis zu 80 % recyclierbar.
„Den Stahlträger muss ich nicht abbrechen, den kann ich wegnehmen und wiederverwenden.“ Was die regulatorischen Grenzen in Deutschland anbelange, müsse man mehr noch auf die Nachbarn schauen, so der Architekt, der auch schon in Österreich gelebt und gearbeitet hat. „Die bauen ja nicht weniger sicher. Da fehlen bei uns vernetzte Datenbanken zum Materialeinsatz. Die Gesetzgebung hatte sich da anders entwickelt bei uns. Was Holz anbelangt, gibt es aufgrund der Brandschutznormen in Deutschland schon gewisse Grenzen.“
Auch über die Stellschraube „Transportwege“ ließe sich Veränderung im Baugewerbe bewirken. Laut Fuhr ergebe es keinen Sinn, großvolumige Bauteile durch die ganze Welt zu schicken. Ein Haus in Hamburg sieht eben anders aus als ein Haus in München und das ist positiv.
Des Weiteren sehen sie in einer höheren Partizipation aller einen ganz entscheidenden Hebel im Kampf für Veränderung. Wittfeld würde das Fach Architektur in der Schule einführen, um die Schüler für das Thema zu sensibilisieren. Und auch die Digitalisierung ist ein wichtiger Helfer. „You can’t manage what you can’t measure“, so Fuhr. „Eine einfache Messtechnik macht es möglich, das Verhalten meiner Kinder unter der Dusche zu verändern.“
Was alle Sprecher einte, war die Aussage, dass das nötige Wissen für eine Wende im Bausektor bereits vorhanden ist. Das Handwerkszeug für die Bewahrung des Planeten und eine Wende hin zu einer nachhaltigen Bauwirtschaft ist da, was Anlass zur Hoffnung gibt. Man müsse sich aber besser vernetzen, Expertise teilen, zusammenarbeiten und sich austauschen – national wie global.
Ein großes Maß an Austausch erfolgte auf dem 14. Deutschen Nachhaltigkeitstag. Missstände wurden aufgedeckt, verschiedene Bereiche beleuchtet, Handlungsbedarf aufgezeigt, Innovationen vorgetragen und nicht zuletzt Preise verliehen – über die Früchte all dessen können wir dann hoffentlich in Zukunft berichten: Wenn Menschen Erkenntnisse umsetzen und Veränderung nachhaltig gelingt.
Text: Marit Albrecht, Titelbild: Dariusz Misztal
…und warum Sozialkompetenz in diesem Beruf manchmal wichtiger ist als das Fachliche selbst.
Auf der Zielgeraden — die ehemalige Schokoladenfabrik, die zum Familienzentraum umgebaut wird, nimmt trotz Materialengpässen und Preissteigerungen immer mehr Gestalt an. Wir zeigen den Baufortschritt in Bildern.