Welche Rolle spielt die europäische Architektenschaft für die Transformation unserer gebauten Umwelt hin zu mehr Qualität und Nachhaltigkeit? Ruth Schagemann vom Architects‘ Council of Europe verrät es.
Die Erkenntnisse diverser Konferenzen, Kongresse und Veranstaltungen im Bau- und Architekturbereich zeichnen längst kein neues Bild mehr. Die Problematiken sind bekannt: Es wird zu viel gebaut, es wird zu teuer gebaut, der Bau verursacht zu viel Müll und CO2-Emissionen.
Wenige Tage vorm DAT23 in Berlin – über den wir ebenfalls berichtet haben – fand das 7. Dresdner Immobiliensymposium mit Fokus auf Bestandssanierung statt. Ein vielschichtiger Mix an Stimmen gab durchaus tiefere Einblicke in ein Thema, das längst unumgänglich ist. Die derzeitig trübe Bilanz, was den Fokus auf den Gebäudebestand anbelangt, wurde dabei mit Nachdruck von verschiedenen Speakern angemahnt.
So kritisierte Barbara Metz, Geschäftsführerin der Deutschen Umwelthilfe (DUH) das kurz zuvor verabschiedete 14-Punkte-Programm der Bundesregierung zum Thema Wohnen und bezeichnete dies als „bitteren Rückschritt“. Die Systematik und Förderung sei in Deutschland komplett auf Neubau ausgerichtet; dabei brauche es jetzt vielmehr eine Abrissgenehmigungspflicht und eine Wertigkeit des Bestandes, so die 42-Jährige.
Ausführlich zu Wort kam auch ein Experte aus dem Bereich Baurecht: Dr. Cedric Vornholt aus Frankfurt am Main zeichnete ein Bild der vielen Hürden für nachhaltige Bauprojekte aus Perspektive eines Rechtsanwalts. So erläuterte er: „In den 50er Jahren ging es um den Wiederaufbau Deutschlands. Die Landesbauordnungen und Neubauregelwerke, die noch aus dieser Zeit stammen, müssten dringend mit einem neuen Bewusstsein umgeschrieben werden. Es geht nicht mehr um den Wiederaufbau, sondern um einen ökologischen Umbau.“ Für eine sinnvolle Bestandsentwicklung gebe es viel zu starre Regelungen – er nannte als Beispiel die Richtlinien für Abstandsflächen bei Aufstockungen sowie die Stellplatzschaffung.
Wenig ermutigend auch Vornholts Aussage, dass die Gesamtlage hinsichtlich Förderungen immer unübersichtlicher werden. „Die große Nivellierung des öffentlichen Baurechts fehlt. Es ist alles Flickwerk“. Auch die Tatsache, dass man noch immer am digitalen Bauantrag arbeite und es zudem viel zu viele Juristen in der Position eines Bauamtsleiters gebe – die seiner Meinung nach „fachfremd“ sind – spräche nicht unbedingt für ein Vorankommen.
Zugeschaltet per Videokonferenz sprach auch Prof. Dipl.-Ing. Dietmar Walberg, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e. V. und Honorarprofessor an der Technischen Hochschule Lübeck. Trotz technischer Schwierigkeiten kam der Hauptpunkt seines Vortrags deutlich rüber: Alles auf einmal ginge nicht. Man könne nicht schnell, klimagerecht, altersgerecht und dazu noch kostengünstig bauen. Er plädiert vielmehr für viele mittelmäßige Maßnahmen anstatt High End und für pragmatische, lokale Lösungen.
Ebenfalls von der Ferne zugeschaltet sprach Kreislaufwirtschafts-Expertin, Architektin und Professorin für Baukonstruktion, Entwurf und Materialkunde (Bergische Universität Wuppertal) Prof. Annette Hillebrandt. In ihrem leidenschaftlichen Plädoyer ging sie mit der noch immer anhaltend hohen Flächenversiegelung in Deutschland gleichermaßen ins Gericht wie mit der Verwendung von schlecht recycelfähigen Kompositen und Schadstoffen bei Bauvorhaben. „Was ist unser Ehrgeiz? Wir ruhen uns auf unseren alten Lorbeeren aus, aber lasst uns mal wirklich nach vorne gehen“, appellierte sie direkt an die Anwesenden. Die zirkuläre Wiederverwendung von Baumaterial bezifferte sie in den Niederlanden mit 30 Prozent, während Deutschland mit 13 Prozent gerade einmal minimal über dem EU-Durchschnitt liege.
Einen weiteren starken Auftritt lieferte Sarah Dungs, Geschäftsführerin der Greyfield Group und 1. Vorsitzende des Verband für Bauen im Bestand. Erstere ist eine Projektentwicklungsgesellschaft mit Fokus auf Bestandsimmobilien. Ziel von Dungs sei es, mit pragmatischen Lösungen ganz konkret an einer „enkeltauglichen Welt“ von morgen mitzuwirken. „Wir kennen alle die Probleme – wir müssen sie doch jetzt einfach nur lösen.“ Ihr Beitrag zur Problemlösung ist der Entwurf einer Checkliste für die Risikoeinschätzung beim Bauen im Bestand, ein CO2-Ausweis für mehr Transparenz eines jeden Gebäudes und die Entwicklung der „BIB 276“ – das Pendant zur DIN 276. Auf dieser Grundlage sollen die Kosten beim Bauen im Bestand „so gegliedert werden, dass sie auch für Investoren transparent und nachvollziehbar sind“, heißt es auf der Website des Verbandes. Dungs kommentierte die eigene Arbeit mit den Worten: „Diese Lösungen sind vielleicht nicht perfekt, aber sie lassen sich sofort anwenden.“ Mit dem Songtext der Ärzte appellierte sie mehrfach: „Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Es wär‘ nur deine Schuld, wenn sie so bleibt.“
Dass es auch positive Projekte gibt, die zeigen, wie es gehen kann, erläuterte Robert-Christian Gierth, Geschäftsführer und Partner der assiduus³ Development GmbH anschaulich. Er stellte den Erweiterungsbau „Zille Impact Campus“ in Berlin Charlottenburg vor, bei dem zu hohen Anteilen wiederverwendete Baumaterialien zum Einsatz kommen und in Zukunft ein nahezu energieautarker Betrieb gewährleistet sein soll. Trotz Widrigkeiten ist er überzeugt: „Echte Nachhaltigkeit zahlt sich auch wirtschaftlich aus.“ Architekten zu finden, die sich wirklich mit dem Bauen mit Holz auskennen, sei jedoch nicht einfach gewesen. Bei einem Projekt der Art sei die Planung länger und kostspieliger, das Bauen selber aber nicht, so Gierth. Auch bei den Banken sei der neue Tenor mittlerweile „intensiv angekommen“.
Dass Projekte dieser Art noch immer die Ausnahme anstatt die Regel bilden, verdeutlicht, wo das Bauen in Deutschland steht. „Wie schaffen wir es, dass Gebäude kein Müll werden?“, stellte auch Dr. Thomas Welter, der als Moderator souverän durch die Veranstaltung führte, fragend in die Runde. Der Bundesgeschäftsführer des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten ermahnte: „Vor 200 Jahren hat man gar nichts abgerissen, da wurde jeder Krümel eines Gebäudes genutzt. Wir sprechen hier von einer uralten Kulturtechnik, die wir schlicht und ergreifend vergessen haben. Wie arrogant sind wir eigentlich?“
Text: Marit Albrecht
Fotos: © RS.plus für hpm Henkel Projektmanagement GmbH
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