…Marc Jans erinnert sich
In einem unscheinbaren Gewerbegebiet nahe Leipzig treffen wir an einem grauen Januartag Moritz Reichert und Rainer Schmidt vom Strohbau-Start-up Lorenz GmbH.
Zwei Anpackertypen, denken wir, und lassen uns in der in Holz- und Strohbauweise errichteten Firmenzentrale im sächsischen Taucha in die Sessel fallen. Genauso purzeln wir ins Gespräch hinein, nichtsahnend, welche Unternehmensenergie uns in den zwei darauffolgenden Stunden entgegenschlagen würde.
Über gemeinsame Interessen nimmt das Gespräch schnell Fahrt auf. Die Wellenlänge stimmt. Doch zurück zum Eigentlichen: Ums natürliche Bauen mit Holz und Stroh soll es gehen, wofür das Unternehmen 2023 auch als Finalist beim Deutschen Preis für Nachhaltigkeit gewürdigt wurde. Kurzum – wie kamen die beiden dazu und warum machen sie das?
„Na Moritz kommt ja aus dem Wald“, lacht der geschäftsführende Gesellschafter Rainer K. Schmidt über seinen Gründerkollegen und zugleich Produktionsleiter Moritz Reichert. Dieser habe sich schon immer für den „Naturbau“, wie er es selbst nennt, interessiert: „Vor 200 Jahren gab es nichts anderes als Naturbau. Da hat man mit Stein, Holz, Lehm und Stroh gebaut. Ich fand das schon immer genial, dass man ohne industrielle Baustoffe gut funktionierende Gebäude bauen kann“, erklärt der frühere Holzfäller. Genau das wisse aber heute niemand mehr. Laut Reichert ist das Wissen über den „Naturbau“ innerhalb von zwei Generationen verloren gegangen.
Vor 200 Jahren gab es nichts anderes als Naturbau.
Moritz Reichert, Lorenz GmbH
Auch er selbst habe erst vor circa 15 Jahren zum ersten Mal davon gehört, dass man Häuser mit Stroh dämmen könne. Bei Dirk Scharmer, den er den deutschen „Strohbauguru“ nennt, habe er erstmals 2007 im Ökodorf Sieben Linden einen Workshop über Strohbau belegt. Im mühsamen Selbststudium kam weiteres Wissen hinzu. Im Bereich Altbausanierung und historischer Holzbau hatte er sich bereits zuvor mit einer eigenen kleinen Baufirma in Berlin Know-how angeeignet. „Als ich es am Anfang meinen Bekannten erzählt habe, dass man mit Stroh bauen kann, da wurde ich für vollkommen verrückt erklärt.“
Ähnlich erging es seinem Jugendfreund Rainer Schmidt, der wie Reichert aus Lörrach stammt, und bei LORENZ den Vertrieb und die Geschäftsentwicklung verantwortet. Ihn habe es früh in den Bereich erneuerbare Energietechnik verschlagen, der damals als rein altruistisch galt und den die meisten „noch nicht einmal aussprechen konnten“, wie Schmidt erklärt.
Nach verschiedenen Stationen weltweit, zahlreichen Firmengründungen und einer Zeit als Kneipenbesitzer in Berlin haben die beiden wieder zusammengefunden. „Wir haben uns nie aus den Augen verloren“, sagt der vierfache Familienvater mit Anerkennung in der Stimme für seinen langjährigen Freund und Geschäftspartner Moritz Reichert.
„Als Moritz mir dann erklärt hat, dass er als Bauunternehmer ein Haus aus Holz und Stroh renoviert hat, da hab‘ ich gesagt: ‚Das ist ein geiles Produkt, kann man da nicht mehr draus machen?‘“
Ich fand das schon immer genial, dass man ohne industrielle Baustoffe gut funktionierende Gebäude bauen kann.
Moritz Reichert, Lorenz GmbH
Gesagt, getan. Durch die Entwicklung von Maschinen konnten die beiden Innovatoren das, was ursprünglich in der heimischen Garage von Moritz Reichert in seiner Wahlheimat Polen begann, in eine serielle Großproduktion circa 30 Kilometer östlich von Görlitz umwandeln.
Unterdessen können wir am Firmensitz in Taucha eine frisch angelieferte Neuproduktion der Lorenz GmbH in Augenschein – und zusammen mit den Gründern – vor die Linse nehmen. Die sogenannte „strOSB-Platte“ sei, mit ein paar Abstrichen hinsichtlich Statik, das Pendant zur OSB-Platte. Ohne Holzrahmen, gänzlich aus Stroh und kompostierbar posieren die beiden Erfindergeister mit ihrem neuen Produkt strahlend vor der Kamera.
Das „klassische“ Produkt des Unternehmens hingegen ist ein rückbaubares und vollständig kompostierbares Modul, das aus einem Holzständerwerk mit Strohdämmung besteht. Es kann als Bodenplatte, Wandplatte oder als Dach- beziehungsweise Giebelelement für Neubauten oder Sanierungen eingesetzt und in kürzester Zeit montiert werden. Je nach Dicke des Moduls wird dabei eine CO2-Speicherung zwischen 30 und 62 Kilogramm pro Quadratmeter erreicht. In Deutschland und verstärkt auch im europäischen Ausland setzt LORENZ damit Aufstockungen, energetische Sanierungen im Bestand und Neubauten um.
In Oberhausen hat das Unternehmen an Europas größtem kommunalen Strohdämmprojekt mitgewirkt und dort fünf Lehrschwimmbäder mit einer neuen Gebäudehülle versehen, wodurch die Gebäude jeweils einen Passivhausstandard erreichen konnten. Die Energieeinsparung nach Sanierung belaufe sich laut Angaben der Stadt Oberhausen auf rund acht Prozent des Gesamtverbrauch der Stadt.
„Man hört von morgens bis abends, dass wir klimaneutral werden müssen und CO2 einsparen müssen. Darauf haben wir eine Antwort und eine handfeste Lösung“, versichert Moritz Reichert. Und fügt nüchtern hinzu: „Leider interessiert das aber immer noch zu wenige. Wir sind immer noch in einer Nische unterwegs.“
In einer Zeit voller Unwägbarkeiten und ohne Sicherheiten scheinen die beiden Unternehmer überzeugter denn je, auf ihrem Weg weiterzugehen und Teil der Lösung anstatt des Problems zu sein. „Es braucht Zeit und einen langen Atem“, sind sich Moritz Reichert und Rainer Schmidt einig. Aber es gebe auch Nachahmer und immer mehr Leute, „die dafür kämpfen, dass diese neue Normalität der Kreislaufwirtschaft und des natürlichen Bauens eintritt“, fügt Schmidt hinzu.
Text: Marit Albrecht
Fotos (wenn nicht anders gekennzeichnet): © Bricks Don’t Lie, Markus Findeisen
…Marc Jans erinnert sich
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