Das Thema Bauen rückt seit dem European Green Deal und dem Regierungswechsel in Deutschland immer mehr in den Fokus von Politik und Medien. Was Bundesbauministerin Klara Geywitz zum Thema zu sagen hat — wir geben Aufschluss.
Nachhaltigkeit ist das Thema der Zeit. Nicht zuletzt im Baugewerbe. Dabei wird viel geredet, die Ideen sind da, die Mittel auch. Dennoch passiert im großen Stil nicht viel beziehungsweise nicht genug. An vielen Enden ist es die Politik, die Bauordnungen und Gesetze anpassen müsste, damit beispielsweise Lebenszykluskosten im Baugewerbe transparenter werden oder die Zulassungsgrenzen für Schadstoffe reduziert werden, um Baumaterialien 100% recyclingfähig zu machen.
Die mehrfach ausgezeichnete Architektin und Universitätsprofessorin Annette Hillebrandt, die schon seit Jahrzehnten im Thema Nachhaltigkeit beim Bauen unterwegs ist, ist der Meinung, dass alles mit Politik zu tun habe, auch die Architektur. Und es sei eben nicht egal, wie wir bauen, da dies Auswirkungen darauf habe, „ob wir in Zukunft noch gemeinsam mit vielleicht zehn Milliarden Menschen hier zufrieden und auskömmlich leben können“, sagt sie im Interview mit Thilo Jung, Journalist und Gründer der politischen Interviewsendung Jung & Naiv.
Es ist eben nicht egal, wie wir bauen.
Univ.-Prof. Annette Hillebrandt
Es sei sehr viel Überzeugungsarbeit bei Auftrag- und Geldgebern nötig, um rückbau- und recyclingfähig zu bauen. Die Bauwende sei aber so wichtig, „weil es so ein paar Zahlen gibt, die sind wirklich schlimm“, so Hillebrandt. Global gesehen stammen 50 % des Abfallaufkommens und 40 % der CO2-Belastung aus dem Bauwesen, sagt sie. Wahnwitz. Und der Raubbau auf der Erde geht weiter.
Laut der Expertin für Materialkunde stammen 9 % der Ressourcen in der EU aus eigenen Quellen – 90 % hingegen seien Importe aus anderen Ländern. „Und die Leute meinen, es stehe ihnen irgendwie einfach zu.“ Ressourcen werden zunehmend knapp. Laut Hillebrandt gebe es für Zink noch eine Reichweite von 10 Jahren, für Kuper 35 Jahre. Unsere lokalen Minen seien leer oder unwirtschaftlich geworden, Gesteinslagen mit vielen Metallen würden seltener werden. Da sei es fast besser, in alten Abfallhalden zu suchen. Womit wir beim Thema Urban Mining wären.
Eine urbane Mine ist ein Rohstofflager für Stadt und Mensch. Alles, was der Mensch baut und ansammelt, müsse als Mine betrachtet werden, die später wieder angezapft werden kann, erklärt die Professorin. In Abfalldeponien findet man zum Teil mehr und einfacher Rohstoffe und Metalle als in den natürlichen Lagerstätten. Es geht um die Neuerschließung dieser menschengemachten Lager. Nach dem Urban-Mining-Prinzip zu bauen, ist zwar vielleicht erst einmal teurer – von 15 bis 20 Prozent spricht hier Hillebrandt – wenn man aber Austauschzyklen, Instandhaltung und Entsorgungskosten mit einberechnet, sei solch ein Urban-Design-Haus nach 50 Jahren 20 bis 40 Prozent günstiger. Oder anders gesagt: ein Haus, für welches man später Geld zurückbekommt, für die darin enthaltenen reinen und recyclingfähigen Baustoffe.
Annette Hillebrandt plädiert dafür, die Dinge zu Ende zu denken und von vorneherein die Gesamtzykluskosten abzubilden. Man müsse sich die Frage stellen: Was kostet mein Haus am Ende? Welche Stoffe sind darin enthalten, enthalten sie Schadstoffe?
Oder hat man am Schluss einen Haufen Müll, für den man selbst oder die eigenen Nachkommen letztlich noch draufzahlen müssen? Was hinterlässt man seinen Kindern, der Nachwelt?
Ein eindrückliches Beispiel, das Hillebrandt anführt: die Fenster. Hier kann man sich für billiges PVC entscheiden – ein Stoff, der laut Hillebrandt giftig ist und zumindest im Brandfall extrem toxisch. Zudem werde er mit der Zeit spröde, dünste Weichmacher aus, der dann in die Raumluft übergehe, die man schließlich einatmet. Holz oder Metall dagegen seien auf gleicher Ebene recyclingfähig. Die Natur mache es vor, erklärt die Architektin begeistert. „Der biotische Kreislauf ist sowieso supercool, geschlossen, der einzig wahre.“
Architekten haben nur gelernt, zu bauen, nicht rückzubauen.
Univ.-Prof. Annette Hillebrandt
Mit Vehemenz fährt Hillebrandt fort: „Architekten haben nur gelernt, zu bauen, nicht rückzubauen.“ Es gebe Abbruchunternehmer, aber keine Rückbauer. Wenn man Hillebrandt reden hört, mit einer Klarheit und Prägnanz, die man sich öfter von Akademikern wünschen würde, scheint alles so leicht, so klar, auf der Hand. Zum Bauantrag bräuchte man direkt schon ein Abbruchkonzept, meint sie. Alle Bestandteile müsste man peu è peu rückbauen also herausnehmen können, um sie nach dem Abbruch anderswo einsetzen zu können. Sowieso würde viel zu viel abgebrochen werden ohne jegliche Mülltrennung. Dabei sei ein selektiver Rückbau so dringend.
Es wird viel zu viel abgebrochen.
Univ.-Prof. Annette Hillebrandt
Noch gibt es keine andere Abbruchmethode, laut Hillebrandt aber müsse erst einmal bewiesen werden, ob ein Altbau nicht mehr taugt. Es brauche Rückbaukonzepte und Abbruchkonzept, bevor irgendetwas weggerissen wird.
Architektur würde aber oft noch über die Ästhetik als wichtig definiert, erklärt die Professorin, die auch Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen ist. Vor mehr als 2000 Jahren aber habe der römische Architekt Vitruv bereits gesagt, dass Architektur nur entsteht, wenn ein Bauwerk nützlich, haltbar und schön ist. Wenn eine Komponente davon fehlt, sei es keine Architektur.
Diese Attribute müsse man natürlich im Rahmen der Zeit sehen, in der das Gebäude entsteht, erklärt Hillebrandt im Interview. Und so sei nun die Frage der Nützlichkeit eine andere geworden. Von der Frage: Eignet sich dieser Raum als Küche? müsse man weitergehen zur Frage: Eignet sich diese Art von Architektur noch für die nächsten Generationen, als Rohstofflager? Ist sie überhaupt nützlich, um die Welt zu retten? Oder ist sie das Gegenteil?
Der Aspekt Nützlichkeit heiße heutzutage, dass man mit dem Bau etwas zurückgibt und nicht zerstört. Laut Hillebrandt heißt nützlich in unserer Zeit: nachhaltig. Es sei schwierig, den Schönheitsbegriff von irgendeinem Inhalt losgelöst zu sehen. Der Begriff müsse vielmehr angehängt werden an eine Schönheit für alle. „Es kann für mich nichts mehr schön sein, was andere Dinge zerstört. Wenn man das mitbetrachtet, wenn ich das mal zu Ende denke, dann kann ich mich daran eigentlich nicht mehr erfreuen“, sagt Hillebrandt resolut. Aber Schönheit ist eben halt etwas sehr Subjektives. Dahinter verstecken sich laut Hillebrandt Architekten seit Jahrzehnten. Die inhaltliche Schönheit müsse mitdiskutiert werden. Hillebrandt selbst möchte sich jenseits der Schönheitsdiskussionen aufhalten. „Wir müssen anders bauen, damit die Dinge für die nachfolgende Generation erhalten bleiben.“
WIR MÜSSEN ANDERS BAUEN, DAMIT DIE DINGE FÜR DIE NACHFOLGENDE GENERATION ERHALTEN BLEIBEN.“
Univ.-Prof. Annette Hillebrandt
Und wir sollten bald damit anfangen – wie das gehen kann, die junge Generation zeigt es. Oder warum nicht einfach mal ein rückgebautes Fenster to go?
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Text: Marit Albrecht
Titelfoto: Bergische Universität Wuppertal
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