„Marktreif! Regionale Baustoffe für eine nachhaltige Bauweise“ — Ausstellung in Dresden beleuchtet Naturbaustoffe hautnah
Nachhaltiges Bauen ist in aller Munde. Doch wie ist die Bilanz beim Bauen mit nachhaltigen Stoffen wirklich? Wie weit sind wir beim Bauen mit Holz, Stroh, Lehm oder Granit und was bedeutet deren Einsatz in der Praxis? Die Ausstellung „Marktreif! Regionale Baustoffe für eine nachhaltige Bauweise“ im Zentrum für Baukultur Sachsen (ZfBK) erklärt Eigenschaften und Herkunft der Baustoffe, räumt mit gängigen Vorurteilen auf und zeigt ein paar eindrückliche Beispiele aus der Praxis.
Back to the Roots
Aufgebaute Strohballen(-wände), Granitplatten, Lehmsteine und handgespaltene Holz-Schindeln: Die Ausstellung spricht nicht nur von Baustoffen – sie zeigt sie hautnah. Die Präsentation ist schlicht und auf das Wesentliche reduziert. Man könnte es auch als Botschaft zwischen den Zeilen auffassen: Sollte nicht auch das Bauen als Ganzes (wieder) auf das Wesentliche reduziert werden?
Back to the roots also. Die Baubranche entdeckt Stoffe wie Holz, Stroh und Lehm ganz neu. „Lehm und Stroh erinnern an den Beginn des Bauens überhaupt“, heißt es in der Einleitung zur Ausstellung. Beton und Stahl sind in der Herstellung energie- und kohlenstoffdioxidintensiv. Die Suche nach Alternativen ist dringlicher denn je.
„In der Debatte um den besten Weg zu einer umweltfreundlichen Lebens- und Arbeitsweise gilt das Bauen als Nachzügler. Verzicht auf den Verbrennungsmotor? Ausstieg aus der Braunkohle? Solche grundlegenden Weichenstellungen kann der Bausektor bislang kaum vorweisen“, heißt es weiter. Sicher mag das auch an der Komplexität der Branche liegen, wo kein Projekt wie das andere ist und jedes eine unterschiedliche Herangehensweise erfordert. Die extrem arbeitsteilige Struktur im Bereich Bau und Architektur erschwert Kommunikation und Konsens zusätzlich, sodass ein groß angelegter Wandel kaum möglich scheint.
Getreideüberschuss und Holzbauboom
Dabei sind die Entwicklungen und Erkenntnisse im Kleinen vielversprechend. Stroh beispielsweise ist nahezu überall verfügbar. Ungefähr ein Fünftel davon sei bei der Getreideernte überschüssig und könne als Baustroh verwendet werden. Entgegen gängiger Vorurteile stelle es bei fachgerechter Verarbeitung keinerlei Brandrisiko dar, modere nicht und „zieht auch keine Mäuse an“. In ganz Deutschland gebe es momentan rund 1000 Strohhäuser, vorrangig aus Weizen. Die auf Strohbau spezialisierte Dresdner Architektin Valérie Madoka Naito erklärt in einem Video in der Ausstellung: „Frankreich ist uns beim Thema Strohbau zehn Jahre voraus.“ Es gibt also viel Luft nach oben.
Beim Holzbau sieht es da schon besser aus. Holzbauprojekte schießen deutschlandweit aus dem Boden. Besonders beliebt: die Holzmodulbauweise, die bereits Ende des 19. Jahrhunderts florierte. Das Unternehmen Christoph & Unmack aus Niesky in der Oberlausitz war damals beim Holzbau Marktführer in Europa und exportierte seine vorgefertigten Holzhäuser sogar nach Indien, Südamerika und Afrika. Heute erlebt der Holzmodulbau einen neuen Aufschwung und kommt vor allem bei drängenden Projekten zum Einsatz: Schulen, Kitas, Wohn- und Altersheime – zum Beispiel die 33. Grundschule in Dresden oder die Oberschule am Barnet-Licht-Platz in Leipzig. Eine Diashow im Saal zeigt 20 Best Practice Beispiele in detaillierterer Form.
Durch den hohen Grad an Vorfertigung verkürze sich die Bauzeit beim Modulbau immens. Zudem sind Holzbauten CO2-Senker. „Gebäude aus Holz speichern Kohlenstoffdioxid“, erklärt Sören Glöckner, Geschäftsführer des Holzbaukompetenzzentrum Sachsen, in einem weiteren Interview-Video. Eine weitere gute Nachricht: Derzeit wachse in Sachsen mehr Holz nach als aktuell benötigt wird (200 durchschnittliche Einfamilienhäuser täglich, laut Ausstellung). Ausbaupotenzial also auch hier.
Ein tragendes Haus aus Lehm
Und wie sieht es mit Lehm aus? Der Dachverband Lehm e. V. liste derzeit für Sachsen kein aktuelles Bauprojekt, heißt es auf einer der Informationstafeln. Man stehe am Beginn des Bauens mit Lehm überhaupt und entdecke diesen gerade wieder. Alte Lehmwellerbauten bis zum 19. Jahrhundert und Lehmbausiedlungen der 1920er Jahre nahe Leipzig würde man erfolgreich erhalten. Ein aktuelles Lehmbauprojekt aber macht derzeit in Meißen von sich reden: ein Modellhaus mit tragenden Wänden aus Lehm.
Die Ausstellung zeigt ein Miniaturmodell davon nach dem Entwurf von Stern Zürn Architekten aus Basel und befragt Rico Czeczine, einen der Ausführenden am Bau von der Firma NEUER baut. Bauherr Prof. Dr.-Ing. Wolfram Jäger – Ingenieur und ehemaliger Universitätsprofessor an der TU Dresden – will mit dem Projekt zeigen, dass Bauen auch anders geht. Lehm lässt sich zu 100 Prozent recyceln und ist vor allem auch für seine guten bauklimatischen Eigenschaften bekannt. „Lehm ist atmungsaktiv, es wird nicht gebrannt. Das schafft ein ganz anderes Raumluftgefühl. Es riecht wie Natur“, schwärmt der Polier Rico Czeczine.
Die Bilanz muss besser werden
Die Ausstellung beleuchtet auch die Baustoffe Porphyr, das in Rochlitz bei Leipzig abgebaut wird und für die dortige Trinitatiskirche zum Einsatz kam, und Granit. Letzteres erstreckt sich mit einer der europaweit größten Flächen vom Vogtland bis zur Lausitz und liegt als Bodenplatten im selbigen Kulturpalast, der das ZfBK inklusive Ausstellung beherbergt. Der Rochlitzer Porphyr ist seit 2022 zusammen – mit beispielsweise dem Marmor aus Carrara – als Heritage Stone gelistet. Ein Stein als kulturelles Welterbe. Das Gestein am Rochlitzer Berg ist circa 300 Millionen Jahre alt und noch zu 98 Prozent verfügbar.
Verfügbar sind natürliche Baustoffe deutschlandweit. Diese marktreif zu machen, um langwierige und kostspielige Transportprozesse zu minimieren und CO2-intensive Baustoffe abzulösen, ist der nächste Schritt. Die Ausstellung bilanziert: „Es sind nicht die Eigenschaften der Baustoffe, die den Markteintritt erschweren.“ Und: „Die Bilanz unserer gebauten Umwelt muss besser werden.“
Die Ausstellung läuft seit dem 8. Juni 2023 im Zentrum für Baukultur im Dresdner Kulturpalast und ist kostenfrei noch bis zum 22. Juli 2023 zu besichtigen. Kurator: Torsten Birne.